Meinung Gaffer - Gesetze allein reichen nicht
Kaum ist ein schwerer Unfall passiert, da landen auch schon die ersten Fotos bei Facebook, Twitter & Co. Skrupellos setzen sich Gaffer über sämtliche Geschmacks- und Moralgrenzen hinweg. Sie behindern die Retter bei ihrer Arbeit, greifen diese womöglich noch an, filmen rücksichtslos Schwerverletzte oder Tote.
Hauptsache, die Bilder landen schnell im Netz und werden geklickt. Es gibt Fälle, in denen Eltern Fotos ihres bei einem Unfall getöteten Kindes bei Facebook sehen mussten, bevor sie darüber überhaupt informiert werden konnten. Schon länger beklagen Polizei und Rettungskräfte einen Verfall der Sitten. Bisher fanden sie offiziell wenig Gehör.
Insofern ist die Gesetzesinitiative, die Niedersachsen nun ergriffen hat, längst überfällig. Es ist richtig, dass Menschen, die tote Unfallopfer filmen und dieses Material öffentlich machen, mit harten Geld- und Haftstrafen belegt werden können. Es ist auch richtig, ihnen noch vor Ort das Handy abnehmen zu dürfen. Abschreckung ist ein Mosaikstein im Kampf gegen Gaffer. Aber eben nur ein Steinchen. Selbst wenn es bald schärfere Gesetze geben würde, lösen diese das Problem nicht grundsätzlich.
Neugier ist tief im Menschen verankert. Kaum einer, der an einem Unfall vorbeifährt, kann sich davon freisprechen, nicht doch mal eben hinzuschauen. Damit waren Polizei und Rettungskräfte schon immer konfrontiert. Das, was sie in jüngster Zeit erleben, geht aber viel weiter. Menschen befriedigen nicht einfach ihre Neugier, sie suchen mit dramatischen Bildern Aufmerksamkeit, Bestätigung und Sensation im Netz. Dafür wenden sie möglicherweise sogar selbst Gewalt an.
Der schwere Unfall, der Tod, erscheint für sie nicht mehr real, sondern als Teil einer virtuell erlebten Realität durch die Kameralinse. Das Gesehene wirkt abstrakt, Empathie kann sich nicht entwickeln. Um diesem gesellschaftlichen Phänomen entgegenzusteuern, braucht es mehr als Gesetze. Es braucht ein neues Bewusstsein.