Leitartikel Hollands „Nee“ ist ein Weckruf gegen Populismus
Die Abstimmungsniederlage beim Referendum über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist für den niederländischen Ministerpräsidenten in vielerlei Hinsicht äußerst peinlich. Innenpolitisch hat Mark Rutte hilflos lächelnd zugesehen, wie die versammelten EU-Gegner seines Landes die rechtlich nicht bindende Abstimmung über einen 400-Seiten-Vertrag missbrauchen, um einfach mal gegen alles zu stimmen.
Außenpolitisch zeugt eine solche Pleite im Jahr der der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft von einer — sehr freundlich gesprochen — verbesserungsfähigen administrativen Performance. Es dürfte den übrigen EU-Staats- und Regierungschefs herzlich gleichgültig sein, wie Rutte die Ratifizierung nun hinbekommt. Eine Wahl hat er in Wahrheit nicht.
Mark Rutte musste klar sein, dass eine Abstimmung über einen Vertrag mit der Ukraine von jedem Niederländer sofort mit dem mutmaßlichen Abschuss der Malaysia-Airlines-Boeing „MH17“ und 192 niederländischen Toten in Verbindung gebracht wird, und damit an ein nationales Trauma rührt, das durch das unerträgliche Aufklärungs-Hickhack noch verschlimmert wurde.
Ihm musste ebenfalls klar sein, dass es die grundsätzlichen Befürworter des Abkommens nicht zu den Urnen treibt, wenn wenige Tage vor dem Referendum der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (wenn auch möglicherweise zu Unrecht) als einer der Hauptdarsteller der „Panama-Papers“ auffliegt.
All das wusste Rutte — und unternahm dennoch bemerkenswert wenig, der Mehrheit der Niederländer klar zu machen, dass sie diese Abstimmung nicht dem Rechtspopulisten Geert Wilders, einer Tierrechts-Partei, einem flegelhaften Online-Sender und ein paar Linksextremisten überlassen dürfen.
Das niederländische Ergebnis, dass es einer Minderheit mittels eines Plebiszits gelingt, sich stärker zu machen als die Mehrheit, sollte der übrigen EU als Weckruf gegen Rechtspopulismus und den Flirt mit solchen Formen vermeintlich direkter Demokratie dienen. Der deutsche Historiker Heinrich August Winkler mahnte dazu im vergangenen Jahr: „Da die Beteiligung bei Plebisziten meist unter der bei Parlamentswahlen liegt, steht keineswegs fest, dass Volksentscheide dem Volkswillen in höherem Maß entsprechen als Parlamentsentscheidungen.“ Für den Gedanken könnte man mal werben.