Meinung Opfer zur Unzeit
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri wird in NRW kommen, daran hat der CDU-Fraktionsvorsitzende Armin Laschet keinen Zweifel gelassen. Und er hat dieses Vorhaben fast staatsmännisch begründet: Man wolle die Fehler beim Loveparade-Drama nicht wiederholen; Dokumente müssten schnell gesichert werden; die Untersuchungen würden nach der Wahl ganz unabhängig vom Ergebnis auf jeden Fall fortgeführt.
Die staatsmännische Attitüde soll verdecken, dass hinter dem Ausschuss vor allem politisches Kalkül steckt. Er steht von Beginn an unter hohem Druck, in kurzer Zeit Ergebnisse liefern zu müssen, soll die Arbeit nicht durch das nahe Ende der Legislaturperiode ganz für die Katz sein. Hoher Arbeitsdruck bedeutet viele Sitzungen und in der heißen Wahlkampfphase viel öffentliche Aufmerksamkeit. Wieder wird SPD-Innenminister Ralf Jäger im Fokus stehen, auf den sich CDU und FDP schon im Silvester- und Innenausschuss eingeschossen haben. Laschet hat bereits angekündigt, ihn vorladen zu wollen — ebenso wie SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Dass selbst Dauerrücktrittsforderer Christian Lindner (FDP) skeptisch ist, obwohl er sonst keine Gelegenheit auslässt, Jäger vor sich herzutreiben, bringt Laschets Argumentationsgerüst noch mehr ins Wanken.
Aber auch Kraft verfolgt natürlich ein Kalkül: Mit der Beauftragung eines Gutachters will sie Dampf aus dem Kessel nehmen und zumindest bis Ende März Zeit gewinnen. Dann wäre es für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor der Wahl endgültig zu spät.
Aufklärung über staatliches Versagen ohne politisches Taktieren ist selten, im Wahljahr fast unmöglich. Die zwölf Opfer von Berlin hätten etwas anderes verdient: ein einmütiges Bekenntnis aller Parteien zu einem gemeinsamen Weg der Fehlersuche. Aber ihr Tod, so zynisch das klingt, kam zur Unzeit.