Meinung SPD scheitert an der letzten Weiche vor der Wahl
Selbst einem geschickteren Ministerpräsidenten als Stephan Weil (SPD) wäre es wahrscheinlich nicht gelungen, den nicht ganz überraschenden Verlust seiner Ein-Stimmen-Mehrheit in einen strategischen Sieg umzumünzen.
Der erste Schritt dazu wäre jedoch gewesen, nicht darauf zu warten, dass inzwischen sogar der schreihalsige CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nach Weils Rücktritt verlangt, sondern Grünen und CDU sofort die Brocken vor die Füße zu schmeißen: Hier, bitte sehr, wer die Mehrheit hat, der soll es auch machen, und zwar sofort.
Dabei hätte die SPD wenig riskiert: Ihre Aussichten, im Januar noch einmal eine rot-grüne Koalition in Niedersachsen bilden zu können, standen schlecht und verbessern sich nicht durch eine vorgezogene Wahl. Durch Weils sofortigen Rücktritt hätte die SPD zumindest an Kontrast gegenüber CDU und Grünen sowie der FDP in Niedersachsen gewinnen können.
Deren erwartbaren Jamaika-Eiertanz auf der Suche nach einer Regierungsbildung hätte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nutzen können, um im Bund darauf hinzuweisen, welches Koalitions-Kasperletheater ohne eine starke SPD nach dem 24. September in einem Bundestag mit mutmaßlich sechs Parteien droht. Das Zustimmungstief der SPD in den Umfragen resultiert schließlich nicht nur daraus, dass Schulz’ Würselen-Charisma sich verschlissen hat, sondern auch daraus, dass die Scheuers, Taubers und Spahns aus Merkels schwarzem Block zu wenig Öffentlichkeit haben, um die Sympathiewerte der Kanzlerin zu beschädigen.
Da er ja mental vom Fußball kommt, hätte Martin Schulz sich längst die alte Fußballweisheit Johan Cruyffs (1947-2016) zu eigen machen sollen: „Wenn du nicht gewinnen kannst, stelle sicher, dass du nicht verlierst.“ In den bislang drei großen Koalitionen auf Bundesebene (1966—1969, 2005—2009 und seit 2013) ist es der CDU am Ende immer gelungen, die SPD mürbe zu regieren. Daraus haben die letzten drei SPD-Kanzlerkandidaten offenbar nichts gelernt.
Weder gelingt es der SPD, die ministeriellen CDU/CSU-Leichtgewichte auf der Regierungsbank in Bedrängnis zu bringen, noch findet Martin Schulz ein zündendes Thema, mit dem sich dem Wahlkampf eine neue Wende geben ließe. Stattdessen jammert die Parteiführung über Intrigen und Unfairness. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, dann hat der Schulzzug die letzte Weiche bereits verpasst.