Steuerhinterziehung: Wir sind fast alle große oder kleine Sünder
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Und dennoch tun es viele. Wer in der Steuererklärung beim Weg zur Arbeit zwei Kilometer hinzuschummelt, oder den ausschließlich privat genutzten Computer als Arbeitswerkzeug deklariert, tut im Prinzip nichts anderes als der Wohlhabende, der sein Geld im Ausland anlegt und die Zinseinnahmen in seiner Steuererklärung "vergisst": Die großen und die kleinen Sünder wollen dem Staat Geld vorenthalten, nur die Beträge sind unterschiedlich hoch.
Diese selbstkritische Relativierung ist angebracht, wenn man moniert, dass die Regierung weiterhin zu verständnisvoll mit Steuerbetrügern umgehe.
Allerdings ist die Koalition in der Tat sehr milde und lädt zum Risikospiel ein: Der Sünder versteuert seine Einnahmen einfach nicht. Wenn er Glück hat, geht es gut. Wenn ihn hingegen irgendwann ein mulmiges Gefühl beschleicht, etwa, weil die deutsche Fahndung CDs aus Liechtenstein oder der Schweiz kauft, auf denen kompromittierende Informationen über den Betrüger sein könnten, empfindet er urplötzlich tiefe Reue und zeigt sich selbst an. Tut er das schnell genug, muss er lediglich die hinterzogenen Steuern einschließlich sechs Prozent Zinsen nachzahlen. Das kann sein Kapital fast komplett aufzehren, tut aber nicht so weh wie eine Strafverfolgung.
Lediglich diese schonende Art der Selbstanzeige wird jetzt ein wenig erschwert. So muss der Sünder künftig alle unvollständigen Angaben von sich aus ergänzen beziehungsweise nachholen, um straffrei zu bleiben. Aber sollte das nicht selbstverständlich sein? Die Koalition wird sich folglich noch viel Kritik an ihrem als halbherzig bezeichneten Vorhaben anhören müssen. Außerdem sollte sie die Forderung der Steuergewerkschaft nach einer Bundessteuerfahndung prüfen. Diese könnte möglicherweise effektiver als Länderbehörden agieren.
Das beste Mittel gegen Steuerhinterziehung wäre allerdings nicht die juristische Verfolgung, sondern die wachsende Einsicht der Bürger, dass ihre Abgaben zum Existieren der Gemeinschaft benötigt werden. Voraussetzung dafür sind ein nachvollziehbares und sinnvoll erscheinendes Ausgabeverhalten des Staates und ein transparentes Steuerrecht, das sogenannte Steuerverkürzungen unattraktiv macht. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.