Strauss-Kahn: Der Stoff, aus dem die Spekulationen sind

Strauss-Kahn und die hemmungslosen Vorverurteilungen

Wenn Mächtige abstürzen, löst das — vornehm ausgedrückt — reges Interesse aus. Man kann auch Schadenfreude sagen, nur gibt das niemand zu. Bei einem wie Strauss-Kahn, der Präsident Frankreichs werden wollte, als Arbeiterführer einen fürstlichen Lebensstil führte, eine attraktive und prominente Ehefrau hat und gleichzeitig mit Frauenaffären Schlagzeilen machte, kommen viele Besonderheiten hinzu, von denen jede für sich reichlich Aufmerksamkeit erzeugen würde. Und jetzt der folgenreiche Vorwurf einer versuchten Vergewaltigung: Dazu gehören abenteuerliche Verteidigungsstrategien und Verschwörungstheorien. Ein angeblich selbstmordgefährdeter Mann leidet in einem berüchtigten Gefängnis. Gleichzeitig geht womöglich die Weltwirtschaft den Bach runter, weil dem IWF der Kopf fehlt. Wenn das kein Stoff zum unendlichen Spekulieren ist, was dann?

Bedenklich stimmt: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Strauss-Kahn schuldig ist, darf dennoch eine freiheitliche Gesellschaft wie unsere eine solch kompromisslose Vorverurteilung nicht zulassen. Egal wie das Verfahren letztlich endet: Nicht nur, weil er die Nominierungsphase aus Termingründen verpasst, kann er sich seine Präsidenten-Ambitionen abschminken. Er wird wohl auch im Währungsfonds bald keine Rolle mehr spielen, politisch und gesellschaftlich isoliert bleiben, selbst wenn es zu einem Freispruch kommt.

Das US-Rechtssystem und die dortigen Gepflogenheiten haben ihren Anteil an der Vorverurteilung. Eine wahre Bilderflut vom Abführen in Handschellen und von der ersten Vernehmung prägen sich unlöschbar ein. Dennoch fällt auf, wie extrem empfänglich Europa für diese Signale ist. Und so viel korrekter gingen wir in Deutschland mit Beschuldigten in den vergangenen Jahren ebenfalls nicht mehr um. Auch die Durchsuchung der Villa von Postchef Zumwinkel war ein riesiges Medienereignis — und bei Kachelmann funktionierte die Vorverurteilung ebenfalls.

Klar ist: Wer Übles getan hat, gehört bestraft. Das sollte ein ordentliches Gericht entscheiden. Unsere Gesellschaft scheint jedoch hemmungslose Vorverurteilungen zunehmend normal zu finden. Wenn das so bleibt, haben bald auch Unschuldige keine Chance mehr. Das wäre bitter.