Kommentar Studie zu sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche: Da muss mehr kommen
Meinung · Die evangelische Kirche hat lange Zeit gut damit gelebt, dass sie sich in Sachen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen hinter dem Prellbock katholische Kirche verstecken konnte. Die nun vorgelegte Studie darf erst der Anfang der Aufklärung sein. Ein Kommentar.
Die evangelische Kirche hat lange Zeit gut damit gelebt, dass sie sich in Sachen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen hinter dem Prellbock katholische Kirche verstecken konnte. Und manch einer mag gedacht haben: In einer Kirche ohne Zölibat wird es wohl nicht so schlimm sein. Der Fall der zurückgetretenen EKD-Chefin Kurschus, die von jahrelangen sexuellen Übergriffen eines Kirchenmitarbeiters auf junge Männer gewusst haben soll, hat den Fokus bereits umgelenkt. Und nun ist da auch noch die Studie zum Umgang mit sexualisierter Gewalt, auf die selbst die evangelische Kirche im Rheinland „mit tiefer Bestürzung“ reagierte.
Es ist gut und richtig, dass die evangelische Kirche hier selbst Aufklärungsarbeit leistet. Aber warum erst jetzt? 14 Jahre ist es her, dass erste Fälle von Missbrauchsopfern durch kirchliche Amtsträger bekannt wurden. Und trotz der in der Studie aufgezeigten Dimension wird man auch bei der evangelischen Kirche wohl nur von der Spitze des Eisbergs sprechen können. Da für die Studie nicht einmal in Personalakten von Pfarrern geschaut werden durfte, wird es noch viel unentdeckte Täterschaft und Opferleid geben.
Und wieder ist es, wir kennen das von der katholischen Kirche, nur ein Gutachten. Die Aufarbeitung ihres jeweiligen Einzelfalls müssen die Betroffenen selbst anstoßen. Am Ende steht, wenn es gut läuft, eine „freiwillige“ Zahlung von 15.000 Euro. Zum Vergleich: Das Landgericht Köln sprach jüngst einem Missbrauchsopfer im Prozess gegen das Erzbistum Köln 300.000 Euro zu.
Die Studie darf erst der Anfang der Aufklärung sein. Eine Aufklärung, die der Staat nicht den Kirchen überlassen darf. Auch die Strafverfolger haben viel zu lange weggesehen. Der Staat muss eine unabhängige Stelle einrichten, an die sich Betroffene wenden können. Es darf nicht bei Almosen als „Ausgleich“ für großes Leid bleiben. Das können sich Staat und Kirchen nicht leisten? Ach was, der Staat zahlt jährlich mehr als 500 Millionen Euro Staatsleistungen an die Kirchen, die laut Verfassung längst hätten auslaufen müssen.