Meinung USA und Nordkorea - Die Unberechenbaren

Berechenbarkeit galt lange als ein entscheidender Grundpfeiler internationaler Diplomatie. Dass damit viele Reaktionen der Staatengemeinschaft auf gezielte Provokationen Einzelner so absehbar wie wirkungslos waren, nahm man notgedrungen in Kauf, weil die Befürchtung groß war, alles andere könnte noch verheerendere Folgen haben.

Foto: Sergej Lepke

Am Beispiel Nordkorea droht nun deutlich zu werden, wie berechtigt diese Befürchtung ist.

Denn dem so bizarr unberechenbaren wie offenbar zu allem entschlossenen nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un steht nun ein US-amerikanischer Präsident gegenüber, der für vieles bekannt ist, aber gewiss nicht für einen kühlen Kopf. Wenn Donald Trumps Vizepräsident nach dem jüngsten Raketentest Nordkoreas davon spricht, die Zeit der Geduld sei vorbei, dann kann man das eben nicht mehr in die Schublade berechenbarer Verbalreaktionen einordnen. Der Satz könnte vielmehr Anzeichen dafür sein, dass Affekthandlungen, die im Privaten nach erschöpfter Geduld womöglich verständlich sind, auch politisch zunehmend salonfähig werden. Dort aber haben sie nichts zu suchen, weil die Folgen eine ganze Region oder gar die Welt in die Katastrophe stürzen könnten.

Dass sich China nach dem Hüter des Freihandels nun auch als Mahner der Besonnenheit geriert, ist kein gutes Zeichen, sondern belegt nur, wie unberechenbar die westliche Wertegemeinschaft geworden ist. Ein Schlüssel zur Deeskalation in Ostasien liegt aber in der Tat in Peking — auch wenn der Einfluss auf Nordkorea womöglich nicht ganz so groß ist wie vermutet. Der andere Schlüssel jedoch liegt in Washington. Und dort ist er derzeit in keinen guten Händen.