Meinung Schatten auf Adenauer

Westintegration, Wiederbewaffnung, Wirtschaftswunder. Diese historischen Leistungen nimmt dem ersten Nachkriegskanzler Konrad Adenauer (CDU) keiner. Doch wie die aktuellen Enthüllungen zeigen, besteht auf der anderen Seite auch kein Grund zur Verklärung.

Spähangriffe gegen demokratische Konkurrenten wie Willy Brandt oder die FDP, Missbrauch des Kanzleramtes für pure Parteipolitik, Bestechung. Das ist die andere Reihung, die man bei diesem Namen auch aufmachen kann. Was aus den Dokumenten bisher bekannt wurde, ist genauso schlimm wie es Uwe Barschels Aktivitäten in Schleswig-Holstein waren. Nach heutigen Maßstäben hätte sich Konrad Adenauer mit so einem Verhalten keine sechs Monate im Amt des Regierungschefs halten können. Es wurden bekanntlich 14 Jahre.

Der Mann ist längst tot, aber dennoch hat der Vorgang eine aktuelle Bedeutung: Angela Merkel beruft sich gern und oft auf den Alten aus Rhöndorf — anfangs, um als Ost-Gewächs Akzeptanz im Westen zu finden, inzwischen wohl auch, um mit ihm in einer Reihe großer christdemokratischer Kanzler zu stehen. Und die CDU huldigt dem gebürtigen Kölner fast schon bis zum Personenkult.

Das funktioniert nun nicht mehr so einfach, wovon das peinliche Schweigen im „Konrad-Adenauer-Haus“ deutlich Zeugnis ablegt. Wie es ja auch zu Helmut Kohl seit den schwarzen Kassen keine bruchlose Linie geben kann, so sehr seine Partei darüber ebenfalls hinwegschweigen möchte. Aber keine Schadenfreude: Bei jedem Kanzler und etlichen Ministern dürfte sich Dunkles finden lassen, zumal, wenn es um die Welt der Geheimdienste und ihrer Aktivitäten geht. Und je weiter man zurückgeht in der Geschichte, umso mehr. Denn früher waren die Politiker nicht so zimperlich wie heute und die Öffentlichkeit nicht so ehrpusselig. Wer also von den Parteien ganz ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.