Mit der Uraufführung „Schaf sehen“ macht das 12. Asphalt-Festival in Düsseldorf am ersten Abend die Gefahr von Rechtspopulismus plastisch Raus aus Schauspielhäusern, hin zu theaterfernen Orten

DÜSSELDORF · . Wer hat Recht? Diejenigen, die sich gegen eine Pandemie impfen lassen? Oder Impfgegner, die zum Teil hinter der Ausbreitung von Corona eine Weltverschwörung witter(te)n? Für die engagierte Umweltschützerin und demokratisch gesonnene Johanna ist das keine Frage.

Szene aus „Schaf sehen“ beim Düsseldorfer Asphalt-Festival.

Szene aus „Schaf sehen“ beim Düsseldorfer Asphalt-Festival.

Foto: Ralf Puder

Aber für ihren Zwillingsbruder Sebastian, der vor einiger Zeit schon in finstere Theorien abgedriftet ist: Er lehnt sich gegen liberale Grundwerte auf, wittert überall Verrat oder Verschwörung einer kleinen Elite, die die Welt beherrschen will.

Am Ende sind die Gräben zwischen den Geschwistern so tief, dass Johanna ihren Bruder aufgibt und mit ihm jeden Kontakt abbricht. Risse gehen durch Familien und können sie zerstören. Die Gefahr ist allgegenwärtig. Diese Mahnung schwebt über „Schaf sehen. Eine theatrale Verschwörungserzählung“ vom Theaterkollektiv „Pièrre.Vers“. Mit der umjubelten Uraufführung dieses eindringlichen Lehrstücks über auseinanderdriftende Gesellschaften wurde jetzt das 12. Asphalt-Festival in Düsseldorf eröffnet. In einer zupackenden Wander-inszenierung, selbstironisches Blinzeln und schwarzer Humor inklusive. Hauptspielort (voraussichtlich das letzte Mal) ist eine leerstehende Geschäftsimmobilie samt raumgreifendem Tiefparterre an der Düsseldorfer Oststraße 34 (34Ost). Im Laufe einer Dekade hat sich dieses Format als fester Kulturbestandteil in den Sommerferien etabliert und wurde einst von Initiator, Co-Autor, Mime und Regisseur Christof Seeger-Zurmühlen (und Musiker Bojan Vuletic) entwickelt.

Raus aus Schauspielhäusern, hin zu theaterfernen Orten, heißt es wieder in den nächsten 18 Tagen in 45 Vorstellungen in Sachen Theater, Tanz, Musik, Lesungen und Partys. Neben dem 34Ost werden erneut die Seebühne am idyllischen Kaiserteich (vor der Dependance der NRW-Kunstsammlung, dem K 21) und für größere Stücke das Central am Düsseldorfer Hauptbahnhof bespielt.

Welches Ansehen das Festival genießt, beweist die Anwesenheit der französisch-israelischen Star-Soziologin Eva Illouz, die nach der Premiere eine Festival-Rede hielt. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich Illouz in zahlreichen Artikeln mit dem Terror, ebenso mit der Verantwortung der Netanjahu-Regierung auseinandergesetzt. Sie warnt vehement vor der „Rückkehr eines neuen mörderischen Antisemitismus“.

Das passt zur thesenartigen „Erzählung“ des „Asphalt-Festivals“, das – nach Ausflügen an Tatorte der NS-Vergangenheit der Landeshauptstadt – mit „Schaf sehen“ die Gegenwart ins Visier nimmt. Seeger-Zurmühlen und Autorin Juliane Hendes und eine Handvoll erprobter Festival-Darsteller führen die Gefahren vor Augen und Ohren, mit der Ultra-Populisten und sektenähnliche Gruppen unsere Demokratie bedrohen. Streckenweise in beinah sozial- und politikwissenschaftlichen Thesen über mögliche Ursachen und Auswirkungen rechtsradikaler Biografien.

Alles beginnt scheinbar harmlos – wie auch in dieser pausenlosen 110-Minuten-Wander-Performance. Aufgekratzte, cremig lächelnde Seminarleiter Moni (Azizè Flittner) und Wolfi (Daniel Fries) begrüßen die Zuschauer – im Aufzug und entführen sie in ein rötlich schimmerndes Gewölbe. In diesem Pseudo-Sakral-Raum versprechen Moni und Wolfi eine Informationsveranstaltung. Worüber? Das bleibt anfangs unklar. Vermutlich über Grundwerte. Auf einer Säule ruht – wie ein Götzenbild – der drapierte Kopf eines schwarzen Schafs. Denn, so sagt man, wer nicht an einen Gott glaubt, glaubt an alles. Aber Wahrheit sei nicht jedermanns Sache, fügt Wolfi hinzu. So warnt das Duo vor den Ammenmärchen der zahlreichen Verschwörungserzählungen.

Auf diesem Seminar trifft Johanna (kämpferisch: Anna Madgalena Beetz) ihren Bruder (jungenhaft rebellisch, aber auch grüblerisch: Jonathan Schimmer), der in einer anderen Welt als seine Schwester lebt. „Auf! Auf!“ singt seine Kleinfamilie und leitet die Zuschauer auf einen Natur-Acker. Wie in grauer Vorzeit, singen sie in einfach bäuerlicher Kleidung heimelnde Volkslieder. Dabei werfen Bauer und Bäuerin, wie früher, Saatkörner auf den Boden. In dieser radikal alternativen, esoterischen Parallelwelt pflegen man einen ultrasanften Ton – allen voran die leicht verstrahlte Herrin im Haus (Julia Dillmann), die die Tafel für das Ostermahl herrichtet. Mit reichlich Grünkräutern und Wasser-Karaffen. Von geschlachtetem Osterlamm keine Spur. Sie danken singend dem Schöpfer, fassen die Hand des Nachbarn und haben sich ganz lieb. Zunehmend erkennt man in ihnen eine aufs Schaf eingeschworene Gemeinde: Bewusst schalten sie kritischen Verstand aus und fliehen von den realen Problemen in ihren surrealen Schafs-Kult.

Holzschnittartig wirken Räume und Tableaus (Bühne: Susanne Hoffmann) ebenso wie die thesenartigen Texte. Die politische Botschaft und Mahnungen sind nicht zu überhören – wie stets beim Duo Seeger-Zurmühlen / Juliane Hendes. Für sie ist klar: In der von Rechtspopulisten bedrohten Zeit ist kantige Botschaft wichtiger als hehre Kunst.

Täglich zu sehen bis 10. Juli. Infos/Tickets: an der Abendkasse.