Sonderermittler eingesetzt Beweisstücke im Missbrauchsfall Lügde aus Polizeibehörde verschwunden
Düsseldorf · Immer neue Ungereimtheiten im Fall des vielfachen Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde: 155 Datenträger fehlen – wohl schon seit dem 20. Dezember 2018. Innenminister Herbert Reul (CDU) spricht von einem „Debakel“.
Im Fall des vielfachen Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde bei Detmold ist seit mehreren Wochen Beweismaterial aus der ermittelnden Kreispolizeibehörde Lippe verschwunden.
Ein Koffer und eine Hülle mit insgesamt 155 Datenträgern werden vermisst. Sie seien aus einer nur „unzureichend gesicherten“ Asservatenkammer verschwunden, teilte gestern Abend NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im NRW-Landtag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz mit. Zu der Kammer hätten viele Mitarbeiter Zugang gehabt. „Schwere handwerkliche Fehler“ habe es auch bei der „Auswertung der Asservate“ gegeben, räumte Reul ein. „Das gilt sowohl für die Auswahl des eingesetzten Personals als auch für die Struktur der Ermittlungen“, so Reul. Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann fügte hinzu, der Polizeibeamte, der das Material gesichtet habe, sei dafür nicht ausreichend qualifiziert gewesen. „Das alles macht mich fassungslos, man kann hier nur von einem Debakel und Polizeiversagen sprechen“, sagte Reul.
Erst am 30. Januar dieses Jahres ist das Fehlen des Beweismaterials, das im Wohnwagen des Haupttatverdächtigen sichergestellt wurde, offiziell entdeckt und gemeldet worden. Das letzte Mal gesehen worden sei das verschwundene Material aber am 20. Dezember des vergangenen Jahres, so die Darstellung aus dem NRW-Innenministerium von gestern Abend. Reul habe schließlich „am vergangenen Montag davon erfahren“ und nach eigenen Angaben „sofort reagiert“. Seit Mittwoch ermitteln der Leiter der kriminalpolizeilichen Fachaufsicht im Landeskriminalamt und vier Sonderermittler in Detmold vor Ort.
Auf den verschwundenen CDs und DVDs seien „maximal 0,7 Terrabyte Daten“, sagte Reul. Insgesamt habe man 15 Terrabyte Daten- und Beweismittel sichergestellt. Es sei Trost, so Reul, dass „das, was den Ermittlungsbehörden sonst vorliegt, für die Taten ausreichend ist. Die Tatverdächtigen werden auch ohne die fehlenden CDs überführt“. Nur drei der fehlenden 155 Datenträger seien bislang ausgewertet gewesen. Darauf sei kein „kinderpornografisches Material“ gespeichert gewesen, so Reul: „Ausschließen können wir das aber nicht.“ Wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung von Kinderpornografie sitzen als Hauptverdächtige ein 56-Jähriger aus Lügde, ein 33-Jähriger aus Steinheim und ein 48-Jähriger aus Stade in Niedersachsen in Untersuchungshaft. Bislang sind 31 minderjährige Opfer im Alter zwischen 4 und 13 Jahren identifiziert. Sie kommen zum Großteil aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.
Im Fokus der Ermittlungen über das Verschwinden der Datenträger hinaus stehen auch mehrere Jugendämter und die Polizei. Gegen zwei Beamte wird laut Reul wegen Strafvereitelung ermittelt. Es werde genau geprüft, ob sie die Tatverdächtigen möglicherweise persönlich kannten. Gegen einen Jugendamt-Mitarbeiter wird überdies wegen des Verdachts der Datenlöschung ermittelt.