Als die Züge noch fuhren

Zwei BV-Autoren erinnern sich an ihre Erlebnisse auf dem Bahnsteig.

Burscheid. Ende des Monats sollen die Abrissarbeiten am Bahnhof beginnen. Das Jugendhaus Megaphon wird an gleicher Stelle neu gebaut. Mit dem Abriss des Bahnhofsgebäudes geht ein wichtiges Kapitel der Stadtgeschichte zu Ende - auch wenn schon seit vielen Jahren kein Zug mehr dort hält.

Ungezählte Stunden, die auf dem Bahnsteig gewartet wurden, traurige Abschiede, die beweint und Ankünfte, die bejubelt wurden - viele Burscheider verbinden mit dem Bahnhof eine ganz persönliche Geschichte. Zwei unserer Autoren erinnern sich.

Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, ging ich an jedem Ersten des Monats mit meinem Großvater zum Bahnhof, die Pension abholen. Der Bahnhofsvorsteher zahlte das Geld persönlich und in bar aus. Der Sieben-Uhr-Zug hatte die schwarze Ledertasche mit Geld gebracht und ab acht Uhr begann die Auszahlung.

Das war immer ein großer Tag, nicht nur für mich, der tägliche Zugverkehr lief ja weiter. Ich wusste nie, wohin ich zuerst laufen sollte. Hinter dem Bahnhof kamen die Personenzüge an und vor dem Bahnhof wurden die Güter abgeholt und gebracht.

Der Gütertransport ging zu dieser Zeit noch mit Pferdefuhrwerken, aber ab und zu war schon ein Lkw dazwischen. In jedem Fall war dort immer ein großes Geschrei, wenn die Fahrer an der Rampe rangierten.

Dann gab es noch die Schalterhalle und den Wartesaal mit Bahnhofswirtschaft. In meinen Berufswünschen schwankte ich damals zwischen Fahrkartenknipser und Fahrkartenverkäufer. Lokomotivführer wie mein Großvater wollte ich jedenfalls nie werden, die sahen immer schwarz und schmutzig aus.

Die Ruheständler, die ihre Pension abholten, kannten sich persönlich, so gab es jedesmal viel zu erzählen. Einige zogen sich in die Bahnhofswirtschaft zurück, aber Opa traf sich mit einigen früheren Kollegen bei "Conrads Eugen".

Hier lag der eigentliche Grund warum ich den weiten Weg zum Bahnhof auf mich nahm: Es gab einen Zitsch, so hieß damals eine Zitronenlimonade und eine kleine Tafel Schokolade und das war ja schon die Reise wert.

An die Bahnstrecke und ihre Züge habe ich noch lebhafte Erinnerungen, denn ich fuhr zwischen 1973 und 1982 mit dem Zug - wie viele andere Burscheider Schüler - zur Schule nach Opladen. Jeden Morgen standen wir am Bahnsteig und die roten Schienenbusse rollten ein, um uns zur nahe gelegenen Kreisstadt zu fahren.

Vor der Abfahrt am Bahnhof wiederholten sich Morgen für Morgen dieselben Szenen: Es gab zum Beispiel eine Mitschülerin meiner Schwester, die jeden Morgen fast zu spät eintraf, um den Zug noch zu erwischen. Manchmal mussten wir noch den Zug anhalten, damit sie ihr Fahrrad am Treppengeländer der Unterführung zum Gleis 2 anbinden konnte.

Ich kann mich auch noch gut an die Ereignisse rund um den Winter 1978/79 erinnern, als eisiger Frost, Wind und Schneeböen die Region beherrschten. Es war nach den Weihnachtsferien, als wir zum Bahnhof gingen, um mit dem Zug zur Schule zu fahren.

Wie immer standen wir frierend im Treppenhaus der Unterführung. Doch kein Zug fuhr in den Bahnhof ein. Endlich nach einer Dreiviertelstunde eilte der Bahnhofsvorsteher aus seinem Häuschen zu uns und stellte mit Entsetzen fest, dass "heute überhaupt kein Zug mehr kommt, da die Weichen zugefroren sind!"

Doch statt lähmendem Entsetzen brach lauter Jubel aus, denn das bedeutete für uns "Fahrschüler" schulfrei. Die Bahn benachrichtigte unsere Schulen und wir konnten nach Hause gehen und die Schlitten aus den Kellern holen.