Bei Anruf Götterdämmerung

In diesem Jahr finden in Bayreuth die 100. Festspiele statt. 1976, zum 100-jährigen Bestehen, saß Erwin Klein im Orchester.

Burscheid. Wenn bei Erwin Klein das Handy klingelt, ertönt der Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“ von Richard Wagner. Die Opernaufnahme, die zu hören ist, entstand 1975 bei den Bayreuther Festspielen. Am Dirigentenpult stand der legendäre Horst Stein. Und unter den Klarinettisten saß: Erwin Klein.

Damals war er gerade 25 Jahre jung — und doch im Festspielorchester schon zum vierten Mal dabei. Drei Jahre zuvor hatte Klein eine unverhoffte Chance genutzt und dabei alle Altersrekorde gebrochen: „Ich war bei meiner Premiere 1972 der mit Abstand jüngste Musiker, der jemals in Bayreuth gespielt hat.“ Ein Rekord, der noch viele Jahre halten sollte.

Eigentlich hatte er nur seinen Urlaub bei seinem Vater und Lehrer Franz Klein verbringen wollen, der seit 1958 zur Bayreuther Stammbesetzung gehörte. Doch dann starb nach dem Orchesterfest mitten in der Spielzeit ein Kollege, Klein überwand seine Bedenken und griff zu.

„Ich hatte noch nie im Leben eine Wagner-Oper gespielt und es gab keine Proben mehr.“ Ein Tag Arbeit mit dem Vater musste reichen für die 2. Klarinette im „Lohengrin“ unter Silvio Varviso. Und es reichte.

Damit ging ein Traum in Erfüllung, den Erwin Klein geträumt hatte, seit er 15 war — und erstmals im beim „Lohengrin“ im Bayreuther Orchestergraben neben den Klarinettisten sitzen durfte. „Das war überwältigend. Danach habe ich mir gesagt: Hier musst du auch mal spielen.“

Wenn der 61-jährige Musiker heute in seiner neuen Wohnung in Dürscheid auf seine Bayreuther Zeit zurückblickt, dann schlägt sich ein Bogen fast von selbst: von den 100. Festspielen in diesem Jahr zum skandalgetränkten Jahrhundertring 1976, der Aufführung des „Rings der Nibelungen“ anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Festspiele 1976.

Die Inszenierung von Patrice Chéreau sorgte für Tumulte und brachte die Altwagnerianer in Wallungen. Und auch Dirigent Pierre Boulez sei „gewöhnungsbedürftig gewesen“, erinnert sich Klein.

Siebenmal, von 1972 bis 1978, war der Musiker Teil des Festspielorchesters. Eine einzigartige Gelegenheit, unter so renommierten Dirigenten wie Carlos Kleiber, Colin Davis und Heinrich Hollreiser zu spielen.

Von Eugen Jochum erntete Klein nach einer Solostelle als 3. Klarinettist im „Parsival“ mal auf offener Szene einen Salutgruß. „Darauf kannst du dir was einbilden“, raunte ihm sein Vater noch während der Aufführung zu, „das macht der nicht bei jedem.“

Der beste Ring-Dirigent ist und bleibt für Erwin Klein aber Horst Stein. „Die Gebrüder Klein“ wurden er und sein Vater von der Elberfelder Dirigenten-Größe immer genannt. Und wenn im dritten Akt des „Siegfried“ die Solostelle für zwei Klarinetten folgte, „hat er aufgehört zu dirigieren und uns einfach allein machen lassen“.

Seite an Seite mit dem Vater, das war nicht immer einfach. „Er konnte auch gnädig sein, aber selten. Und lobend hat er sich über mich nur geäußert, wenn ich nicht dabei war.“ Franz Klein, lange Zeit Soloklarinettist beim WDR und im Gürzenich-Orchester sowie Professor an der Kölner Musikhochschule, war ein Perfektionist. „Ich habe gerne mit ihm gespielt, aber für meine Nerven war es besser, wenn ich mit anderen gespielt habe.“

1978 fiel der kompromisslose Vater in Bayreuth in Ungnade und damit war auch für den Sohn die Zeit der sommerlichen Engagements vorbei. Das hat noch lange geschmerzt, ehe der Abstand für Linderung sorgte. Geblieben ist ein Schatz an Erinnerungen — wachgehalten durch den täglichen Klingelton.