Burscheid Der älteste Lesepate geht von Bord
Klaus Kotthaus hat Jungen und Mädchen 15 Jahre lang vorgelesen. Jetzt hört er auf. „Es wird mir zu viel“, sagt der 91-Jährige. Einigen war er wie ein Opa.
Burscheid. Wenn Klaus Kotthaus anfängt zu erzählen, kleben nicht nur Kinder an seinen Lippen. Präzise ausgewogen und ohne erhobenen Zeigefinger lassen seine Einschätzungen den Zuhörer gerne nicken, wenn er sich darüber äußert, was die Welt heute bewegt. Die Welt der Eltern zum Beispiel. Hängen die Kinder und Jugendlichen nicht nur noch mit ihrem Smartphone in der Ecke? Und habe das nicht Auswirkungen auf deren Verhalten — insbesondere deren Leseverhalten?
„Wie das so sein soll, das höre ich nur — und lese es in Zeitungen“, sagt der 91-Jährige. Doch der Burscheider springt nicht auf den Meinungs-Zug auf. „Wenn ich mit meinem Enkel im Urlaub bin und ich frage ihn, wie das Wetter wird, zückt er kurz sein Handy und liest es mir vor. Das finde ich toll und ich hätte diese Entwicklung auch gerne erlebt.“ Allerdings wisse er um die Probleme mit dem Smartphone — auch aus der eigenen Familie.
Dass er so fair und ausgewogen urteilt — und dabei noch jede Menge spannende Geschichten zu erzählen hat — macht ihn vermutlich bei den Kindern so beliebt. Doch sie werden jetzt auf ihn verzichten müssen. Burscheids ältester Lesepate hört auf. Ein großer Verlust nicht nur für sie, sondern auch für die Stadtbücherei, die ihn vor 15 Jahren als ersten männlichen Lesepaten gewinnen konnte.
„Ich war schon immer gerne in der Bücherei und habe mir etwas zum Lesen ausgesucht“, erinnert sich der ehemalige Spediteur. Dabei sei er von Mitarbeiterin Carla Siebert angesprochen worden, ob er sich vorstellen könne, Kindern vorzulesen. „Ich habe nach meiner beruflichen Tätigkeit etwas gesucht, um mich zu betätigen.“ Das freute Carla Siebert, die sagte: „Endlich mal ein Mann.“ Und das freute auch die Kinder. „Bei einem Jungen kam ich mir vor wie ein Opa“, sagt Kotthaus. Alles habe er ihm erklären müssen — sogar das Verdauungssystem. Arkadi aus Weißrussland sei auch begeistert von dem heute 91-Jährigen gewesen. Aber felsenfest war der Junge davon überzeugt: „Mit 100 Jahren stirbst du!“ Klaus Kotthaus fühlte sich herausgefordert. Im positiven Sinne. „Der Junge wollte etwas. Deshalb habe ich mit ihm darüber diskutiert.“
Anfangs sei Diskutieren mit den Schülern nicht möglich gewesen. Freitags um 15.30 Uhr war das Vorlesen an den Schulen in großen Gruppen festgesetzt. Ausgebrannt und unruhig seien die Kinder nicht mehr zu kriegen gewesen. Bis dienstags und donnerstags kleinere Gruppen eingerichtet wurden. „Wir haben ihnen versucht, Lesen beizubringen. Das war von großem Erfolg gekrönt.“
Manche Kinder kamen dann auch zu den Lesepaten nach Hause. Kotthaus freut sich, dass er vielen die Möglichkeit gegeben hat, durch das Lesen den Schulstoff zu verstehen. „Kinder, die nicht lesen können, begreifen nicht. Sie sind arm dran.“
Jetzt geht der 91-Jährige Lesepate von Bord der Stadtbücherei. „Es wird mir zu viel. Einmal muss Schluss sein. Irgendwann ist der Akku leer.“