Die zwei Seiten der Flüchtlingsmedaille
An der Hans-Hoersch-Halle lässt sich ablesen, was die Gesellschaft in der aktuellen Diskussion so spaltet.
Burscheid. Früher haben sie Theater gespielt in der Hans-Hoersch-Halle. Und Theater, wenn es gut gemacht ist, hat oft viel weniger mit dem Vorgaukeln von Schein- und Traumwelten zu tun als mit dem wirklichen Leben. Seine Dramen erzählen immer wieder davon, dass es in diesem Leben nicht nur Alternativen von Schwarz oder Weiß gibt, sondern oft beides zugleich und ganz viel Grau dazu.
Heute sind in der Hans-Hoersch-Halle Flüchtlinge untergebracht. Ein Stück Weltdrama auf kleinem Burscheider Raum. Auch an ihm lässt sich das wirkliche Leben ablesen — und viel von dem, was die Gesellschaft in der aktuellen Diskussion um Flüchtlinge so spaltet.
Als Angela Sauer (50) sich im vergangenen Jahr entscheidet, ihre Stelle als Sachbearbeiterin im Patientenmanagement einer bergischen Klinik aufzugeben und zum Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) nach Burscheid zu wechseln, tut sie das auch aus dem Impuls heraus, dass den Flüchtlingen, die in wachsender Zahl nach Deutschland kommen, geholfen werden muss. Sauer übernimmt ab Oktober 2015 die Hausleitung in der Hans-Hoersch-Halle, der zweiten Erstaufnahmeeinrichtung des Landes, die in Burscheid eröffnet wird.
Es gibt diese eine Szene, als eine Nachbarin von ihrer neuen Arbeit erfährt und sie fragt, ob sie keine Angst habe. „Die Frage habe ich nicht verstanden.“ Zu dem Zeitpunkt kann sich Angela Sauer noch nicht vorstellen, dass sie tatsächlich eines Tages mit Angst zur Arbeit fahren wird.
1. November 2015: Die ersten 50 Flüchtlinge treffen in der Halle ein. Meist Familien, meist aus Syrien, auch drei Familien aus dem Irak sind dabei und noch zwölf alleinreisende syrische Männer. Schon am nächsten Tag stellen sie den Helfern einen Blumenstrauß auf den Tisch — als Dank für die entgegengebrachte „Freundlichkeit, Liebe und Menschlichkeit“, wie es in Englisch auf einem Zettel notiert ist.
Dieser Start prägt die gemeinsame Zeit. Es gibt keine Probleme, zwischen Flüchtlingen und Mitarbeiterinnen des ASB entstehen fast freundschaftliche Verbindungen. Wenn etwas fehlt, wird es in kürzester Zeit über die Facebookgruppe „Burscheider helfen Kriegsflüchtlingen“ besorgt. Die Stimmung kulminiert in dem bewegenden interreligiösen Friedensgebet am 19. November in der Kirche am Markt.
Auch nachdem die letzten Flüchtlinge ihre kommunale Zuweisung erhalten haben und die Einrichtung am 18. Dezember verlassen, bleibt man im Kontakt. Besuchsfahrten nach Oberhausen oder Mönchengladbach sind Ausdruck des gewachsenen Vertrauens.
8. Januar 2016: Die zweite Belegung der Hans-Hoersch-Halle trifft ein. Diesmal steigen 49 Männer zwischen 18 und 45 Jahren aus dem Bus, meist aus Algerien oder Marokko, aber auch Syrien, Nigeria, Guinea und Somalia sind vertreten. Schon bei der Ankunft gibt es die ersten Widerworte, als ihnen das Rauchen auf dem Schulgelände der benachbarten Grundschule untersagt wird. „Da habe ich mir gedacht, das kann ja heiter werden“, erinnert sich Sven Wede.
Der 28-Jährige ist einst zum ASB gegangen, weil er findet, „dass man sich nicht über all das Übel beschweren kann, wenn man nicht selbst mit anpackt“. Dass Menschen in Notlagen geholfen werden muss, ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Aber er ist auch ein nüchterner Beobachter. In Wuppertal hat er manche Flüchtlinge drei- bis viermal wiedergesehen. „Die sind freiwillig ausgereist, statt sich abschieben zu lassen, um dann wieder einreisen zu können.“
Jetzt, in Burscheid, erlebt er, wie die Situation sich zuspitzt — nicht draußen (mit der Schule gibt es weiter keine Probleme), aber intern. Zu Beginn muss täglich die Polizei zur Hilfe gerufen werden: Bedrohung, Beleidigung, körperliche Gewaltandrohung sind an der Tagesordnung. Es kommt zu Schlägereien zwischen den Bewohnern. Und wenn das ASB-Personal, alles Frauen, einschreitet, gerät es zwischen die Fronten. Wede macht bei einigen der Männer „ein verqueres Welt- und Frauenbild“ aus.
Das ist die Zeit, in der Angela Sauer mit Angst zur Arbeit geht. Einmal wird sie massiv auf Arabisch beschimpft. Als sie einen anderen Flüchtling um Übersetzung bittet, weigert dieser sich mit der Begründung, er schäme sich so für das Gesagte. Schließlich müssen drei Marokkaner zwangsverlegt werden. Zwei weitere Störenfriede verlassen die Einrichtung auf eigene Faust und schlagen sich nach Frankreich durch.
Folgte also Schwarz auf Weiß in der Halle? Nein, so einfach ist das Leben nicht. Seit die fünf Problemfälle weg sind, hat sich die Lage entspannt — auch wenn die meisten wissen, dass sie Deutschland wieder verlassen müssen. In die kommunale Zuweisung kommen sie gar nicht erst, sondern warten in Burscheid darauf, in speziellen Einrichtungen ein beschleunigtes Asylverfahren für sogenannte sichere Herkunftsländer zu durchlaufen.
Angela Sauer weiß, welche Ängste manche der Männer vor der Rückkehr plagen — gebrandmarkt als Landesverräter. „Die haben zu Hause nichts Gutes zu erwarten.“ Für sie steht trotz der negativen Erfahrungen fest: „Ich mache die Arbeit immer noch gerne.“ Und Sven Wede sagt: „Für uns ist klar, dass jeder, der kommt, Anrecht auf die gleiche Hilfe hat. Aber er muss sich auch an Regeln halten.“