Deutscher Orchesterwettbewerb Ernüchterung — und der Schatz geballter Energie

Beim Deutschen Orchesterwettbewerb in Ulm erreicht der OVH Platz drei. Der Enttäuschung darüber wollen nicht alle Musiker Raum geben.

Foto: Ekkehard Rüger

Ulm/Burscheid. Das Vorfeld von Juryentscheidungen gehört den Spekulationen. Wie ticken die Juroren, welches Detail sagt etwas aus oder auch nicht, wie sind ausbleibende oder stattfindende Anrufe zu bewerten? Am Montag erhält der Orchesterverein Hilgen (OVH) nach seinem Wertungsauftritt beim Deutschen Orchesterwettbewerb keinen Anruf, am Dienstagmorgen anderthalb Stunden vor Bekanntgabe des Ergebnisses dann doch: die Einladung zum Preisträgerkonzert am Abend. Ist das ein Hinweis auf den Sieg beim Wettbewerb?

Nein, ist es nicht. Das erfahren die Blasmusiker wenig später. Die 23,6 Punkte sind nach der Wertungseinteilung zwar ein „hervorragender Erfolg“, aber zwei Orchester waren nach Einschätzung der Jury noch hervorragender: die Bläserphilharmonie der Stadt Blaustein, knapp zehn Kilometer von Ulm entfernt, und die Stadtkapelle Bad Griesbach, die niemand so recht auf dem Schirm hatte. Titelverteidiger Wangen landet diesmal auf Platz vier.

Auch die Nachbetrachtung von Juryentscheidungen gehört den Spekulationen. Wie qualifiziert ist das Urteil der fünf Juroren? Welche Interessenlagen hatten Einfluss auf die Entscheidung? Muss das Reglement hinterfragt werden? Letzteres tut die Stadtkapelle Wangen in Form ihres Vorstands Markus Jörg.

„Wir sind nicht unglücklich. Das Ergebnis ist völlig in Ordnung“, sagt er. Aber er kritisiert dann doch, dass der Deutsche Musikrat als Ausrichter vor dem 9. Wettbewerb die maximale Profiquote von zehn auf 20 Prozent erhöht hat. Manches finanzstarke Orchester könne sich dadurch verleiten lassen, die führenden Stimmen mit Profis zu besetzen und dafür eigene Kräfte zu Hause zu lassen. Das widerspreche dem Amateur- und Vereinsgedanken.

In den OVH-Reihen bedarf es einiger Zeit, bis die Reflexionen über die Entscheidung nicht allein von Enttäuschung und Frust bestimmt sind. OHV-Dirigent Timor Chadik, beim vorgeschalteten Landeswettbewerb in Baden-Württemberg selbst in der Rolle des Jurors, kann die Wertung von Ulm nicht nachvollziehen. Auf Landesebene hatte Sieger Wangen noch vor Blaustein gelegen.

Eine Reaktion der Hilgener auf das Ergebnis steht auf dem Marktplatz im Schatten des Rathauses und des Ulmer Münsters schnell fest: Sie sagen das Preisträgerkonzert für den Abend wieder ab. Einerseits sorgt für Unverständnis und weitere Spekulationen, dass der Sieger Blaustein trotz der Nähe zu Ulm kein spielfähiges Orchester mehr zusammenbekommt. Andererseits haben die nach dem emotional packenden Wettbewerbsvortrag jetzt wieder ernüchterten Hilgener schlicht keine Lust mehr. „Und wenn wir keine Lust haben, spielen wir schlecht.“ Das wäre für die als Vortrag gewünschte und extrem schwierige Komposition „Dionysiaques“ von Florent Schmitt eine extrem schlechte Voraussetzung.

Bisher, und auch das gehört zur Betrachtung von Ulm, hatte der OVH im Rahmen des Wettbewerbs aber immer große Lust, die auch belohnt wurde. Das hat seit der Blasorchester-Premiere 1988 zu zwei vierten, drei ersten, einem zweiten und jetzt einem dritten Platz geführt. Eine bessere und konstantere Bilanz hat kein anderes deutsches Blasorchester vorzuweisen.

Ohnehin sind in einem vielstimmigen Orchester auch die Sichtweisen auf den Wettbewerb vielstimmig. „Niemand hat ein Anrecht auf den ersten Platz“, sagt beispielsweise Klarinettist Wolfgang Neu. Und der junge Schlagzeuger und Musikstudent Dustin Koch (23), der schon bei Claudio Puntins Auftragskomposition „Mondnah und Herzfremd“ mit seinem Vibrafonspiel im Zentrum des Orchesters den Eindruck vollkommen unbeschwerter Musikbegeisterung vermittelte, wischt angesichts der beglückenden Erfahrung des Ulmer Auftritts alle Schatten beiseite: „Jedes Orchester hat seinen eigenen Stil und die Bewertung ist Geschmackssache. Aber davon lasse ich mir diese 30 Minuten geballter Energie nicht nehmen.“