Interview „Es gibt ganz viele Barrieren, auch in den Köpfen“

Kette-Vorstand Claudia Seydholdt über ihr kreisweites Netzwerk-Projekt, Befangenheit im Umgang mit Behinderungen und den Aktionstag Inklusion.

Foto: Michael Schopps

Frau Seydholdt, Ihr Verein „Die Kette“ hat das Projekt „Freizeit in Gesellschaft — Erholung, Sport und Kultur inklusiv“ gestartet. Mit welchem Ziel?

Claudia Seydholdt: Mit dem Ziel, in einem Netzwerk mit den beteiligten Vereinen Menschen mit Behinderung den Weg zu ebnen, in diesen Vereinen aktiv zu werden. Es ist für uns lebensnäher, wenn Menschen mit Handicap in normalen Vereinen Fuß fassen und nicht einem Parallelleben angehören.

Seydholdt: Es gab schon ein Vorprojekt, das inzwischen abgeschlossen ist und nicht in die acht Kreiskommunen getragen wurde. Damals haben wir nur Vertreter aus den Städten und Gemeinden nach Bergisch Gladbach eingeladen. Aber bei dem von der Aktion Mensch geförderten Hauptprojekt spielt die Musik in den Kommunen. Wir wollen mit unseren Partnern, dem Sportverein Blau-Weiß Hand und dem Rheinisch-Bergischen Chorverband, Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres beginnen, Auftaktveranstaltungen in den Kommunen anzubieten. Dort können Menschen mit Behinderung ihre Wünsche äußern. Und wir wollen auch mit den Vereinen reden, wo es Schwierigkeiten gibt oder Schulungen für Übungsleiter notwendig sind, um zu erfahren, wie sich zum Beispiel ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung verhält. Das Projekt soll ja nicht dauerhaft bei der Kette verankert sein, sondern einen Anschub bilden, um Gelder und Unterstützung in die Vereine zu bringen. Wir übernehmen die Koordinierungsrolle und arbeiten auch an einer Internetplattform.

Einerseits ist Inklusion in aller Munde, andererseits hapert es bei der Umsetzung. In welcher Form kann ein Aktionstag wie am Samstag in der Burscheider Stadtbücherei hilfreich sein?

Seydholdt: Schon allein dadurch, dass das Thema nicht nur auf die schulische Inklusion verkürzt wird. Und es wäre schön, wenn sich viele Menschen mit Inklusion befassen und man von dieser Alles-oder-nichts-Haltung wegkommt. Beim Thema Barrierefreiheit sind ja oft nur die Rollstuhlfahrer im Fokus. Aber es gibt ganz viele Barrieren, auch in den Köpfen: Wie geht man mit Behinderungen um? Soll man weggucken oder helfen? Und wo wird Hilfe zur Bevormundung?

Wo sehen Sie dabei das größte Problem?

Seydholdt: Auf der einen Seite sagt man immer, Inklusion fängt im Kindesalter an. Es ist ja auch richtig, dass Kinder am wenigsten Vorurteile haben. Und wenn sie früh lernen, Behinderungen als normal zu erleben, wird sie das ihr Leben lang prägen. Aber es gibt eben auch eine ganze Menge Erwachsene. Darum ist es jetzt an der Zeit, auch die Bereiche Arbeit, Alltag, Wohnen und Freizeit einzubeziehen. Ziel ist eine umfassende Teilhabe, denn das Leben geht auch nach der Schule weiter.

Sie leiten bei dem Aktionstag am Samstag eine Diskussion mit dem Titel: „Was ist für Sie Inklusion?“. Die Frage möchte ich gerne auch an Sie richten.

Seydholdt: Inklusion ist für mich eine Welt, in der gar nicht mehr besonders auffällt, wenn einer anders ist als andere, und Menschen mit Handicap sich so bewegen und teilhaben, wie sie es wollen. Es geht ja gar nicht darum, dass alle alles machen können. Ich persönlich kann auch keinen Marathon laufen. Aber ich habe andere Möglichkeiten, das zu verwirklichen, was mir wichtig ist. Und das soll auch für Menschen mit Behinderungen gelten. Ich würde mir wünschen, dass die Scheu und Befangenheit ihnen gegenüber abnimmt. Oft ist es gar keine Ablehnung, aber die Unbefangenheit fehlt. Eigentlich ist Inklusion, wenn man sie nicht mehr braucht.