Sachbuch 215 Berichte von Überlebenden aus dem Holocaust

Köln · Gerade einmal zehn Jahre alt war der heutige Wahlkölner Peter Müller, als ihn sein Vater 1946 in eine Ausstellung mitnahm, die Zeugnisse aus den Konzentrationslagern der NS-Diktatur vorstellte. Die Bilder, die Müller damals sah, lassen ihn bis heute nicht mehr los.

Ein Kind legt Blumen an dem Denkmal für die während der deutschen Besatzungszeit ermordeten Juden in Babi Jar nieder.

Foto: picture alliance / dpa/Andreas Stein

Sie haben sein Leben grundlegend verändert. Bis heute kämpft der 84-Jährige gemeinsam mit seiner Frau Margret Müller gegen das Vergessen der Verbrechen und für die Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten.

Im Jahr 1996 reiste das Kölner Ehepaar als ehrenamtliche Mitarbeiter des Maximilian-Kolbe-Werkes nach Krakau und Warschau, um dort vor Ort eine Begegnung von polnischen und ukrainischen Holocaust-Überlebenden zu unterstützen. Dabei lernten die beiden Deutschen den ukrainischen Historiker Boris Zabarko kennen, der selbst das Ghetto Schargorod überlebt hatte. Seit der Mitte der 60er Jahre sammelte er Berichte Überlebender und interviewte die einst Verfolgten.

1999 erschien seine erste Publikation in russischer Sprache. Bereits diesen ersten Band veröffentlichte das Ehepaar auf Deutsch. Jetzt haben die beiden Kölner ein weiteres, sehr umfassendes Werk des Historikers ins Deutsche übersetzen lassen. Auf mehr als 1100 Seiten finden sich 215 Berichte von Überlebenden aus der Ukraine.

Um ein Gesamtbild vom dortigen Holcaust umd seinen Folgen für die Opfer zu vermitteln, wurden in der deutschen Ausgabe die Berichte anders als im ersten Band „Nur wir haben überlebt“ nicht alphabetisch aufgeführt, sondern den jeweiligen Tatorten zugeordnet. Die Orte folgen der Chronologie der Besetzung des Landes durch die Wehrmacht. So ist eine eindrucksvolle „Geografie des Holocaust“ in der Ukraine entstanden.

Bis zu 1,6 Millionen Juden wurden in der Ukraine ermordet

Durch die intensive Recherche Werner Müllers wurden 400 neue Vernichtungsorte bekannt. Damit steigert sich deren Gesamtzahl auf mehr als 1000. Die Opfer wurden erschossen, in Synagogen verbrannt – viele starben an Hunger und Krankheiten, andere sind erfroren. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und irrten einsam auf der Flucht vor den deutchen Besatzern durch das Land. Jedes Einzelschicksal ist bewegend und erschütternd zugleich – in den Berichten offenbart sich oft unbeschreibbares Leid. Durch das neue Werk finden die Opfer auch viele Jahrzehnte nach den schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten Gehör.  

Insgesamt sind auf dem Gebiet der Ukraine 1,5 bis 1,6 Millionen Juden von den Nationalsozialisten ermordet worden. Dennoch ist hierzulande nur sehr wenig über die Verbrechen der NS-Diktatur im osteuropäischen Land bekannt. Eine Ausnahme stellt das Massaker von Babi Jar im September 1941 dar, bei dem binnen von zwei Tagen 33.000 Juden umgebracht worden sind. Auch in der Ukraine selbst wurde und wird bislang nicht angemessen an die jüdischen Opfer der deutschen Besatzung gedacht. Das soll sich auch durch die jetzt im Kölner NS-Dok vorgestellte Publikation von Margret und Werner Müller mit den von Boris Zabarko gesammelten Zeugnissen der Überlebenden endlich ändern.

Boris Zabarko, Margret Müller, Werner Müller: Leben und Tod in der Epoche des Holocaust in der Ukraine. Zeugnisse von Überlebenden, Metropol-Verlag, 1152 Seiten, 49 Euro.