Köln/Leverkusen A1-Brücke: Wie der Arbeitsweg Lebenszeit vernichtet
Marode Brücke und jetzt noch die Lkw-Sperren: Die Mitarbeiter von Ford in Köln sind ein markantes Beispiel für den Wahnsinn des täglichen Pendelns.
Köln. Es ist 7.15 Uhr in einem Wohngebiet in Burscheid-Repinghofen. Dass hier gleich mehrere Ford-Pkws auf der Straße parken, ist kein Zufall. Viele Mitarbeiter des Kölner Autoherstellers leben mit ihren Familien im rechtsrheinischen Umland. Von ihrem Arbeitsplatz trennen die Menschen in Repinghofen nur 19 Kilometer — und die Brücke über den Rhein. Eine Strecke, um täglich Nerven zu lassen.
Fünf Minuten später an der Burscheider Autobahnauffahrt. Die Ampel ist bewusst so geschaltet, dass hier viele Autos hintereinander abfahren können. Seit die Sperrung der Leverkusener Autobahnbrücke für Lkws zu Dauerstaus auf der A 1 führt, schlagen sich zahlreiche Pendler über Land durch. Aber spätestens am Rhein müssen viele wieder zurück auf die Autobahn.
„Als es die Brückenprobleme noch nicht gab, habe ich 20 Minuten bis zur Arbeit gebraucht. Jetzt benötige ich mindestens 50 Minuten, wenn es irgendeine Störung gibt, noch länger. Inzwischen benutze ich morgens die Autobahn bis zum Kreuz Leverkusen gar nicht mehr, sondern bringe mehrere Kinder über Land zur Schule nach Leverkusen-Opladen und fahre erst dort dann wieder auf die Autobahn.“
Hanno Keller Leitender Ingenieur in der Ford-Entwicklung
Der Morgen ist kalt und klar, der dreispurige Verkehr auf der A 1 hinunter in die Rheinebene scheint heute zu fließen. Doch dann schlägt mir von Ferne schon das Meer der roten Bremslichter hinter der Köttersbachtalbrücke entgegen. Das Bild der wartenden Lkws auf der rechten Spur gehört hier längst zum Alltag. Seit Juni 2014 ist die Rheinbrücke für Lastwagen ab 3,5 Tonnen tabu; sie müssen am Kreuz Leverkusen auf die A 3 wechseln. Tempobegrenzungen, Warnleuchten und Hinweisschilder sollen Auffahrunfälle vermeiden. Oft haben sie schon versagt.
Ich entscheide mich für die Entlastungsspur, die auf die Gegenfahrbahn verschwenkt ist. Ein Fehler. Nach wenigen Metern stoppt der Verkehr. Jenseits der Mittelplanke läuft es besser. Nach einer halben Stunde habe ich das Kreuz Leverkusen-West erreicht und zwölf Kilometer hinter mir. Macht einen Durchschnitt von Tempo 24. Viel schneller als ein Fahrrad ist das nicht.
Als hätte es noch eines Beweises bedurft, fällt mir rechts neben der Autobahn erstmals ein Fahrradfahrer auf, während ich im Stau vor der verengten Fahrbahn an der Lkw-Sperre stehe. Später wird er noch einmal meine Fahrbahn kreuzen, wenige hundert Meter vor dem Mitarbeiterparkplatz am Ford-Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich. Das Rennen hat an diesem Morgen der unbekannte Radfahrer in seiner gelben Warnweste für sich entschieden.
„Früher habe ich bei meiner Arbeitsstelle in Witten 35 bis 40 Minuten für 60 Kilometer gebraucht. Die kürzere Anfahrt war ein Grund für meinen Wechsel zu Ford. Aber seit der allerersten Lkw-Sperrung der Brücke im Dezember 2012 hat sich mein Arbeitsweg auf über eine Stunde verlängert. Das geht an die körperlichen Kräfte. Vor drei Jahren habe ich dann angefangen, das Fahrrad einzupacken. Ich fahre mit dem Auto bis Leverkusen-Opladen und radel von dort über die Brücke. Seit den Brückenproblemen sind ganz viele aufs Fahrrad umgestiegen.“
Kathrin Breuer Entwicklungsingenieurin Innenraum
Die Nachmittagssonne wirft ihre Schatten auf dem Mitarbeiterparkplatz am Tor 54 in Merkenich. Nach und nach rauschen die ersten Wagen davon. Zeit, die Rückfahrt anzutreten. 18 500 Ford-Mitarbeiter sind am Standort Köln beschäftigt, rund 4000 davon im Entwickungszentrum nördlich der A 1. Tausende von ihnen nutzen nach Angaben der Konzernzentrale täglich die Leverkusener Brücke; die genaue Zahl, Ergebnis einer internen Umfrage, behält die Firma für sich. Die logistischen Zusatzkosten durch die marode Brücke beziffert Ford auf jährlich mehr als 500 000 Euro.
Die Heimfahrt über die Brücke gerät endgültig zur sinnlosen Vernichtung von Lebenszeit. Der Grund: Seit der Einrichtung der Lkw-Sperren ist eine der Autobahnauffahrten an der Anschlussstelle Köln-Niehl in Richtung Dortmund komplett gesperrt. Eigentlich müssten die Mitarbeiter aus dem Entwicklungszentrum jetzt der Industriestraße in Richtung Innenstadt bis zum Kreisverkehr „Niehler Ei“ folgen, um dann über die Gegenfahrbahn der Schnellstraße zur Autobahn zurückzukehren. Aber diese offizielle Umleitung ist ein Umweg von sieben Kilometern.
Also wählen die Ford-Beschäftigten zwischen zwei Alternativen: Entweder schlagen sie sich von Anfang an durch das kleine Kölner Dorf Merkenich oder sie fahren wie ich an diesem Nachmittag bei erster Gelegenheit von der Schnellstraße ab, um auf die andere Seite zur Autobahn zu gelangen.
Welche Lösung auch gewählt wird, sie mündet in einem erst vor einem Jahr eingerichteten Kreisverkehr, der besonders leistungsstark sein soll und die Stadt Köln 850 000 Euro gekostet hat. Seine Bezeichnung als „Turbo-Kreisel“ ist in den Nachmittagsstunden allerdings gelebte Realsatire: Hier treffen die Schleichwege aller Ford-Beschäftigten aus dem Norden mit den Arbeitern der Produktionsstätten südlich der A 1 zusammen. Was sie verbindet, ist die Sehnsucht nach der Autobahn, die hier zum Greifen nahe ist und doch noch eine Ewigkeit entfernt.
Der tägliche Verkehrskollaps an dieser Stelle ist schon für den einmaligen Gast des Schauspiels eine Tortur. Und auch bei den Anwohnern liegen die Nerven blank. Eine Onlinepetition hat schon über 500 Unterzeichner gefunden.
„Besonders die Rückfahrt ist katastrophal. Nach 15 Uhr kommt man praktisch nicht mehr weg. Wenn es nicht in Strömen gießt, fahre ich daher morgens ab dem Neulandpark in Leverkusen mit dem Klapprad über die Brücke nach Merkenich. Dann bin ich in 15 Minuten bei der Arbeit und nachmittags genauso schnell zurück am Auto. Das Unternehmen versucht auch, die Mitarbeiter, wo es geht, durch flexiblere Arbeitszeiten und mehr Heimarbeit zu entlasten.“
Kerstin Michalzik
Berechnungsingenieurin