Wie gut kennen Sie das Festival „Shalom Musik Köln“?
Kultur „Gegen Judenfeindlichkeit hilft nur Bildung, Liebe und Kultur“
Köln · Vom 15. bis zum 25. August findet in Köln wieder das Festival „Shalom Musik Köln“ statt, das die jüdische Musik gut eine Woche lang ins Zentrum rückt. Geplant sind mehr als 80 Veranstaltungen an 30 Orten in der Stadt.
Am 16. August ist die Berliner Schauspielerin und Musikerin Sharon Brauner zu Gast im Comedia-Theater an der Vondelstraße in der Kölner Südstadt. Dort nimmt sie um 17 Uhr zunächst an einem Künstlergespräch teil und präsentiert dann später um 20 Uhr unter dem Titel „Family Affairs“ eine besondere musikalisch-biografische Reise mit den The Goy Boys. Wir haben mit der Künstlerin vorab gesprochen.
Sharon Brauner: Ich hatte beim Kölner Festival vor zwei Jahren einen tollen Auftritt im kleinen Sendesaal des WDR. Dort gab es drei kurze Konzerte, bei dem das Publikum nach 20 Minuten den Saal verlassen musste, um neuem Publikum Platz zu machen. Es haben sich aber immer wieder die alten Zuschauer erneut angestellt, sodass der Saal zum Schluss so überfüllt war, dass viele Leute stehen mussten. Nach unseren Konzerten, gab es für mich die Chance, auch die Performances anderer Künstler zu sehen, die zum Teil auf den Straßen aufgetreten sind. Die gesamte Innnenstadt wurde so zur Bühne und bot allen Menschen ganz greifbar eine Reise durch 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Dieser innovative und kreative Ansatz des Festivals, diese Selbstverständlichkeit, Freiheit und Leichtigkeit, die alles umgab, hat mich sehr beeindruckt.
Wie wichtig ist so ein Festival in Zeiten, in denen der Antisemitismus stetig zunimmt?
Brauner: Ich denke, dass solche Festivals wichtiger sind, denn je. Gerade mit Blick auf den Konflikt im Nahen Osten, der längst bei uns in Europa angekommen ist. Immer häufiger bauen Krakeeler auf den Straßen ein antisemitisches Feindbild auf, das sich auf den Konflikt in und um Israel bezieht, aber in Wirklichkeit „die Juden“ im Allgemeinen meint. Das ist erneut der Wahnsinn, den wir bereits aus der Geschichte kennen, nur etwas anders. Antisemitismus erscheint mir wie ein Virus, der in jeder Generation immer wieder Menschen befällt. Dagegen hilft nur Wissen und ein menschliches Miteinander. Das Kölner Festival öffnet Pforten, als würde es die Arme ausbreiten, um einzuladen, das Schöne und das Vielfältige der jüdischen Kultur zu erleben, die ja seit 1700 Jahren auch Teil der deutschen Kultur ist.
Wie erleben Sie den anwachsenden Antisemitismus in Deutschland und Europa?
Brauner: Das war leider zu erwarten und seit Jahrzehnten zu beobachten. Es sind viele Menschen zu uns gekommen, die Hass im Herzen tragen, gegen Menschen die sie gar nicht kennen. Bitter war die Entwicklung für meinen Vater und ist sie für meine Mutter. Beide mussten als Kinder vor erwachsenen Menschen flüchten, die sie töten wollten, obwohl sie nichts verbrochen hatten. Sie sind als Kinder mit diesem Wahnsinn in Berührung gekommen und das hat Spuren hinterlassen. Mein Vater war mein bester Freund und hat schon früh mit mir über seine Erlebnisse gesprochen. Seine Familie hat den Holocaust überlebt, weil sie immer gerade noch rechtzeitig weggelaufen ist und viel Glück hatte. Von ihm habe ich viel gelernt. Ich lehne Verallgemeinerungen generell ab und sehe mich und alle anderen als Individuum, auf diesem eigentlich wunderschönen Planeten, auf dem wir alle gemeinsam eine Zeit lang leben dürfen. Mein Beitrag ist das Miteinander ganz selbstverständlich zu pflegen. Gegen Judenfeindlichkeit hilft nur Bildung, Liebe und Kultur.
Haben Sie selbst schon Antisemitismus erlebt?
Brauner: Als Kind gab es ein einziges prägendes Erlebnis. Ich war im Krankenhaus und hatte im Nachbarzimmer Freunde gefunden. Die stürmten eines Tages, aus dem nichts in mein Zimmer, schubsten mich aus dem Bett in eine Ecke und meinten, ich müsste als Jüdin gleich abgeholt und vergast werden. Für sie war es nur ein Spaß, für mich nicht, weil aus Freunden so plötzlich Feinde wurden. Das war nur ein Kinderstreich, harmlos. Die hatten einfach nicht mitgedacht. Das hat mich allerdings für mein ganzes Leben geschult, genauer auszuwählen, wen man zu seinen Freunden zählt. Glücklicherweise habe ich seitdem keinen Antisemitismus mehr erlebt.
Welche Bedeutung hatte Ihre Familie für ihre Karriere als Musikerin und Schauspielerin?
Brauner: In der Familie liegen meine kulturellen Wurzeln. Mit diesen Wurzeln konnte ich wie ein Baum in verschiedene Richtungen wachsen und mich weiterentwickeln. Ich bin ein neugieriger Mensch und freue mich, wenn andere Kulturen mein Leben bereichern. Deshalb möchte ich immer wieder Neues entdecken. Man könnte das mit dem Kochen vergleichen, auch da entdeckt man immer wieder neue Zutaten und Gewürze. Aber es gibt auch Grundgerichte, auf die man immer wieder zurückgreift. Das wäre dann die Familie. Die jiddische Sprache habe ich durch meinen Vater und seine Freunde entdeckt. Es wurde beim Kartenspielen jiddisch gesprochen, von Männern, die ihre Tätowierungen aus den Konzentrationslagern auf dem Arm trugen. Ein erstes jiddisches Lied hab ich zum 70. Geburtstag meines Vaters gesungen. Dabei habe ich gemerkt, welche Bedeutung das für ihn, seine Geschwister und seine Freunde hat. Das hat mich darin bestärkt, ein Repertoire für diese Menschen zu erarbeiten und weiterzumachen. Dass dies auch einem breiteren Publikum gefallen könnte, hab ich damals nicht gedacht.
Bei Ihren ersten Filmen sind Sie auch spannenden Persönlichkeiten begegnet?
Brauner: Beim Kinderfilm „Primel macht ihr Haus verrückt“ habe ich Brigitte Mira kennengelernt, die sehr herzlich war. Dass sie selbst Jüdin ist, hätte ich nicht vermutet, da sie ja so eine bekannte Berliner Volksschauspielerin war. Dazu kam Barbara Valentin, eine sehr coole Kollegin, die von Freddy Mercury erzählte. Oder Eva-Maria Hagen, die wiederum von ihrer Tochter Nina Hagen schwärmte, die ich als Kind bereits schätzte. Da gab es mehrere. Insgesamt habe ich die Geschichten der Älteren immer geliebt und sehr vom Zuhören profitiert.
Beim Kölner Festival kommen Sie mit den „Family Affairs“ ins Comedia-Theater.
Brauner: An diesem Abend werde ich mit The Goy Boys alte jiddische Lieder ganz eigen präsentieren und so versuchen, die Brücke in die Zukunft zu bauen. In Köln werde ich mit einem Beatboxer, der das Schlagzeug ersetzt, einem Pianisten, einem Bassisten und einem Trompeter, der wiederum die Klarinette ersetzt, auf der Bühne stehen.
Dazu kommen auch noch eigene Lieder.
Brauner: Zum Teil hab ich Texte geschrieben und sie sie dann von KI musikalisch produzieren lassen. Diese digitalen Songs werden wir jetzt analog auf die Bühne bringen. Eine komplett neue Arbeitsweise für mich. Ich möchte aber auch, dass es mit der Sprache meiner Vorfahren weitergeht. Deswegen hab ich auch einen neuen jiddischen Text geschrieben. Es ist eine so liebevolle Sprache, die keine Kriegsbegriffe kennt. Deshalb ist sie mir als Pazifistin auch so nahe.
Welche Beziehung haben Sie als Berlinerin zu Köln?
Brauner: Ich hätte die Stadt gerne vor dem Krieg erlebt. Vieles wurde weggebombt und vieles leider wieder hässlich aufgebaut. Aber ich mag die rheinische Mentalität, die ich, während ich anderthalb Jahre in Köln gewohnt habe, sehr gut kennengelernt habe. Ich mag die Frohnatur der Kölner und den Besuch der Brauhäuser mit den kleinen Gläsern, die immer wieder schnell aufgefüllt werden. In dieser Stadt herrscht ein ganz anderer Geist als bei uns in Berlin. Da geht es am Rhein viel freundlicher zu.