Kultur Kunst wird durch die Betrachtung neu geschöpft und aktiviert
Köln · Der amerikanische Philosoph John Dewey (1859-1952) hatte nicht nur großen Einfluss auf pädagogische Konzepte in US-Schulen, sondern auch weltweit im Bereich der Kunsterziehung und -vermittlung, was bis heute auch in vielen Kunsthochschulen noch erkennbar ist.
Seine Grundthesen waren, dass das Lernen vom Kind ausgehen und dass dieses selbstbestimmt lernen soll. Wissen soll selbstständig erarbeitet und nicht nur reproduziert werden. Das soll Menschen dazu befähigen, aktiver Teil einer Demokratie zu sein.
Was die Kunst und die Kunstwerke betrifft, wird diese gesellschaftlich erfahren und die eigene Erfahrung damit trifft auf die Möglichkeit, von der Erfahrung anderer zur partizipieren. Kunst wird so durch den Betrachter neu geschöpft und aktiviert. Deweys Überzeugung, dass der Kunst eine große gesellschaftliche Bedeutung zukommt, liegt auch dem Auftrag zugrunde, den sich das Museum Ludwig für seine Arbeit gibt: Das Haus ist ein lebendiger Ort des Zusammentreffens und des Austausches. Es spricht Publikum an, das so vielfältig und vielzählig ist wie die Kunst, die es beherbergt.
50 Kunstwerke
und 34 Künstler
Deweys Ansätze spiegeln sich jetzt in der Neupräsentationen der Sammlung für Gegenwartskunst im Untergeschoss des Museums wider, die heute unter dem Titel „John Dewey, who?“ eröffnet wird und die über zwei Jahre bis zum 19. August 2022 laufen wird. Insgesamt 50 Arbeiten von 34 Künstlern in allen Medien sind zu erleben – von der Malerei über Installationen und Videoarbeiten bis zur Skulptur und der Fotografie. Darunter befinden sich neben den Beständen der Sammlung, die im neuen Kontext gezeigt werden, auch viele Neuerwerbungen des Museums, die erstmals im Ludwig zu sehen sind. Am Beispiel ausgewählter Werke werden die grundlegenden Themen des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft sowie von Kunstproduktion und -rezeption angesprochen.
Teil der aktuellen Ausstellung der Gegenwartskunst ist eine Archivpräsentation, die John Deweys Leben und Wirken in den USA sowie in China und der Türkei vorstellt sowie seine Einflusssphären nachzeichnet. Zudem wurden die Künstler der Ausstellung zu ihrem Kunststudium und ihre Kunstlehre befragt. Dabei geht es auch um den Einfluss Deweys auf das eigene Lernen und Lehren. Zitate der Antworten geben einen besonderen Einblick das künstlerische Schaffen der Befragten.
Zu den gezeigten Werken gehört auch die Arbeit „Presentation of an Early Representation“ von Gülsün Karamustafa aus Istanbul. Schon der Titel macht deutlich, dass es ihr um die vielschichtigen Ebenen der Kunstvermittlung und -betrachtung geht. Die großformatige Reproduktion zeigt ein orientalisches Motiv aus dem 16. Jahrhundert nach den Schilderungen eines europäischen Reisenden. Dabei werden Frauen in europäischer Kleidung von Männern wie Ware auf einem Basar behandelt. Die Künstlerin konfrontiert das Bild mit den Fragen, die an sie als Künstlerin aus der türkischen Metropole herangetragen werden und führt in der Auseinandersetzung mit ihr zu neuen Erfahrungen. Damit geht es um Deweys Credo, dass Kunst eine bedeutende Rolle in der Bildung spielt, weil in künstlerischen Werken die vielfältigen gesellschaftlichen Verhältnisse auf vielfältige Weise vermittelt sind.
Eine besondere Erfahrung teilt Trisha Bagas bei „Mollusca & The Pelvic Floor“ mit den Betrachtern ihrer Kunst. Bei der Multimediainstallation können sind die Besucher mittels einer 3D-Brille in das Video von Bagas begeben und zum Beispiel eine sizilianische Grotte oder das höhlenartige Atelier der Künstlerin besuchen. „Security bei Julia X“ von Julia Scher ist ein fingierter, pinkfarbener Überwachungsschalter mit Kameras und Monitoren. Besucher werden von den Kameras erfasst und so ins Werk integriert. Scher beschäftigt sich seit den 80ern intensiv mit der gesellschaftspolitischen und psychologischen Auswirkungen der heute verinnerlichten Überwachungskultur.
Bei Oscar Murillo „Collective Consience“ werden die Betrachter noch ganz analog Teil des Geschehens. Auf einer Holztribüne sitzen vom Künstler geschaffene, lebensgroße Figuren in Arbeitskleidung. Dazwischen dürfen die Gäste selbst Platz nehmen. In diesem Augenblick vervollständigen sie dann das Bild, das für ein kollektives Gewissen und für Solidarität steht. Es ist ein Appell des Künstlers an die gemeinsame Verantwortung.