Neuer Stadtrat: Am Donnerstag beginnt der Politikwechsel
Vier Gründe, warum es in der nächsten Wahlperiode nicht so weitergeht wie bisher.
Burscheid. Am Donnerstag konstituiert sich der neue Stadtrat im Haus der Kunst. Oberflächlich betrachtet, hat sich gegenüber der vergangenen Wahlperiode nicht viel geändert. Der Bürgermeister ist derselbe, die Hierarchie der Fraktionen ist dieselbe. Er werde „aus innerer Überzeugung“ auch in den nächsten sechs Jahren weiter den Konsensstil verfolgen, der die zurückliegenden Jahre geprägt habe, erklärte Stefan Caplan noch am Abend seiner Wiederwahl. Doch vier Gründe sprechen dagegen, dass es im Verhältnis von Bürgermeister und Politik so weitergeht wie bisher.
Phantomschmerzen gehören zu den unangenehmen Begleiterscheinungen einer Amputation. Die CDU-Fraktion und die Ratsarbeit insgesamt werden noch lange spüren, dass sich Jörg Baack so plötzlich in einer Mischung aus Verärgerung und beruflicher Überlastung von der Fraktionsführung verabschiedet hat.
Baack war nicht nur der wichtigste politische Ansprechpartner und Berater von Bürgermeister Caplan, er war auch sein wichtigster Gegenpart auf Ratsseite, eine Art Korrektiv. Bestens auch in die anderen Fraktionen vernetzt, übernahm der Jurist immer wieder Moderatoren- und Ausgleichsfunktionen. Und sein Sachverstand genoss fraktionsübergreifend große Anerkennung.
Diese komplexe Rolle kann sein Nachfolger Hartmut Schepanski als Ratsneuling unmöglich in gleicher Weise ausfüllen. Damit aber gerät auch die Balance zwischen den Fraktionen ins Wanken. Das Nichtzustandekommen der geplanten Einheitsliste für die Ratssitzung am Donnerstag ist da nur ein erstes Indiz. Die Wortführerschaft in der Pressekonferenz überließen CDU und SPD interessanterweise am Montag Michael Baggeler, der als BfB-Fraktionsvorsitzender nur die drittstärkste Fraktion vertritt.
Das Wahlergebnis hält eine für die Konsensstrategie der vergangenen Jahre unangenehme Wahrheit bereit: Profitiert haben von den unbestreitbaren Erfolgen der Vergangenheit nur der Bürgermeister selbst mit seinem historischen Wahlerfolg und in seinem Kielwasser noch seine Partei, die CDU.
Die im Interesse der Stadt durchaus sinnvolle politische Einvernehmlichkeit des Rates hat die Profile der einzelnen Fraktionen verschwimmen lassen. Vom Glanz der meist einstimmig auf den Weg gebrachten Entscheidungen ist für den Rest jenseits der CDU wenig übriggeblieben. Im Ergebnis hat die CDU im Rat jetzt mehr Sitze als die zweit- und drittstärkste Fraktion (SPD und BfB) zusammen.
Sechs Jahre bis zur nächsten Kommunalwahl sind eine lange Zeit. Aber perspektivisch werden die übrigen Parteien und Vereinigungen nicht darum herumkommen, sich stärker abzugrenzen, um in der öffentlichen Wahrnehmung wieder an Profil zu gewinnen.
Bisher war die Rolle des zumindest partiellen Widerspruchs gegen den politischen Konsensstil im Wesentlichen dem BfB-Aushängeschild Michael Baggeler vorbehalten gewesen. Das war auch seiner Rolle als Gegenkandidat zu Stefan Caplan geschuldet.
Beim Wechsel an der Spitze der SPD-Fraktion kurz vor der Wahl ist mit dem früheren Ortsvereinsvorsitzenden Klaus Becker nun aber ein Kommunalpolitiker gewählt worden, der im Gegensatz zu seinem jovialen Vorgänger Dieter Müller auch gerne mal verbal Attacke reitet. Intern hat er schon ein Ende des Kuschelkurses angekündigt.
Als gestählter Betriebsratsvorsitzender versteht Becker es dabei durchaus, mit seinen unberechenbaren Winkelzügen Freund wie Feind zu überraschen. Zusammen mit einer ob der Vorverhandlungen zwischen den Fraktionen verschnupften Sabine Wurmbach (Grüne) und einem aus gleichen Gründen grantelnden Gerd Pieper (Freie Wähler) spricht das für eine größere Angriffslustigkeit innerhalb des Stadtrates.
Seit Jahren wird die Burscheider Kommunalpolitik von der Klage begleitet, die Finanzkrise der Stadt reduziere den politischen Handlungsspielraum auf ein Minimum. Im Zusammenspiel mit einem ehrgeizigen und arbeitssamen Bürgermeister einerseits und der zuletzt gepflegten Konsenspolitik andererseits hat der Rat aber gerade vor diesem Hintergrund ohnehin geringer Gestaltungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren eine Art Selbstentmündigung betrieben.
Auch wenn formal das demokratische Verfahren eingehalten wurde, dass die Verwaltung nur vorbereitet und der Rat entscheidet, ist — auch durch die vielen nichtöffentlichen Weichenstellungen im Vorfeld der Entscheidungen — der Eindruck entstanden, ein schwacher Rat folge widerspruchslos einem dominanten Bürgermeister.
Wenn der Rat nicht weiter im Ruf stehen will, sich selbst zu marginalisieren, wird er sich in den nächsten Jahren stärker vom Bürgermeister an seiner eigenen Spitze emanzipieren müssen. Welche Köpfe nun allerdings diesen Emanzipationsprozess entscheidend vorantreiben könnten, ist angesichts der noch anhaltenden und teils auch widersprüchlichen Findungsphase vor der Sitzung am Donnerstag noch eine offene Frage.