Inklusion Ratgeber für andere Behinderte
Peer Counseling nennt sich das Projekt, bei dem Betroffene sich untereinander helfen. Sandra Frielingsdorf weiß das zu schätzen: Sie bezieht bald eine eigene Wohnung.
Burscheid. Seit sechs Jahren lebt Sandra Frielingsdorf in der Wohngruppe der Lebenshilfe in der Hauptstraße. Doch jetzt steht ein mutiger Schritt bevor: Die 30-Jährige will noch in diesem Jahr ausziehen. Eine Wohnung in der Nähe hat sie schon gefunden — mit Glück: Derzeit lebt noch ihre Betreuerin dort, will aber bald ausziehen.
Auf ihrer Suche hat Frielingsdorf es nicht immer leicht gehabt. In einem Fall gab es nach einer Besichtigung keine Rückmeldung mehr; sie vermutet, „weil ich von der Lebenshilfe komme“. Wahrscheinlich hätten die Vermieter Angst gehabt, sie würde die Wohnung verkommen lassen.
Angst ist auch für sie selbst dabei. Davor, „in ein großes Loch zu fallen“ ohne Mitbewohner wie bisher, den Alltag allein bewältigen zu müssen. Da tut es gut, mit jemandem sprechen zu können, der ähnliche Erfahrungen schon gemacht hat — wie Rebecca Holland-Letz.
Die beiden kennen sich von der Ausbildung zur Peer-Beraterin. Die Beratung von Behinderten für Behinderte, im Fachjargon Peer Counseling genannt, wurde ursprünglich durch eine dreijährige Förderung der Aktion Mensch angestoßen. Mittlerweile gibt es ein modifiziertes Folge-Pilotprojekt des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Ziel ist es, die Behinderten zu Experten in eigener Sache in den Bereichen Freizeit, Arbeit und Wohnen zu machen.
Holland-Letz ist im April gerade selbst in eine eigene Wohnung in Wermelskirchen gezogen — und kann heute sagen: „Es ist nicht so schlimm, wie ich dachte.“ Die 39-Jährige hat einen Plan aufgestellt für die Dinge des Alltags. Sie ist jetzt für ihr Leben allein verantwortlich und kann das auch genießen. Neun Stunden in der Woche erhält sie noch Unterstützung. Aber sie sagt: „Ich habe jetzt schon gemerkt, dass ich so viele Stunden nicht brauche.“
Für Sandra Frielingsdorf sind das wichtige Erfahrungen, die ihr selbst die Sorgen etwas nehmen können. Ihr Geld verdient sie in der von der Lebenshilfe betriebenen Cafeteria im Quellenbad Wermelskirchen. Aber anders als Holland-Letz lässt sie ihre Beratertätigkeit derzeit ruhen, weil die Arbeit und der bevorstehende Auszug schon aufregend genug sind.
Dabei wird die Zeit als Peer-Beraterin auf die Arbeitszeit in der Werkstatt Lebenshilfe angerechnet. Und anders als beim Verein „Die Kette“ nimmt bei der Lebenshilfe auch Koordinatorin Verena Tönnes immer an den Beratungsgesprächen teil, um im Notfall unterstützen zu können. Beide Vereine stellen beim Aktionstag Inklusion am 19. September in der Stadtbücherei ihre Peer-Counseling-Modelle vor.
Vor dem endgültigen Auszug muss Frielingsdorf noch einen Test und mehrere Gespräche durchlaufen. Dann kann es losgehen. Viel neu besorgen wird sie nicht: nur einen Tisch für das Aquarium mit seinen sechs Fischen. Denn die müssen mit.