Sütterlin: Eine schöne, vergessene Schrift
Die Stahlspitzfeder brachte sie hervor, die Nazis verboten sie wieder. Aber noch immer finden sich Liebhaber.
Burscheid. Die Suche nach der verlorenen Schrift — so oder so ähnlich ließe sich die Veranstaltung zusammenfassen, die neun Teilnehmer am Sonntag in die Stadtbücherei führte. Der Sütterlinschrift-Kurs von Marcus Vaillant war zuvor schon als Veranstaltung für Kinder angeboten worden. Wegen des Interesses bei Erwachsenen wurde dann kurzerhand ein zweiter Termin geplant.
Die Neugierde auf die heute fast vergessene Schrift vereinte alle Teilnehmer. „Ich habe Sütterlin ein halbes Jahr in der Schule gelernt, danach wurde es abgeschafft. Da ist irgendwie ein Wissensloch entstanden, das ich gerne wieder füllen möchte“, erzählte Reiner Thiergärtner.
Nach einer Einführung durften sich die Kursteilnehmer am Schreiben ihres Namens versuchen. Dazu wurden die einzelnen Buchstaben zunächst auf dafür vorbereiteten Lineaturen geübt. Neben einigen Texten, die Marcus Vaillant, der hauptberuflich an der Universitäts- und Landesbibliothek in Düsseldorf arbeitet und dadurch mit vielen alten Texten und Schriften in Kontakt kommt, zur Anschauung mitbrachte, fanden sich auch private Texte von Verwandten und Vorfahren der Kursteilnehmer auf dem Tisch wieder.
„Wir haben sehr viele alte Schreibbücher zu Hause gefunden und wissen auch, dass sie in Sütterlin geschrieben sind aber lesen können wir das meiste leider nicht. Am beeindruckendsten finde ich, wie akkurat und schön diese Schrift aussieht“, sagte Martina Thiergärtner.
Bevor es in Deutschland die Sütterlinschrift gab, schrieben die Leute im 18. Jahrhundert in der Kurrentschrift. Das Schreibwerkzeug war der Federkiel, der aus Gänsefedern hergestellt wurde und erst zurechtgeschnitzt werden musste, bis man ihn zum Schreiben verwenden konnte. Durch den Richtungswechsel beim Schreiben entstanden verschieden starke Striche. Dieser Duktus machte die Kurrentschrift klar erkennbar.
Am Ende des 18. Jahrhunderts etablierte sich die aus England kommende Stahlspitzfeder auch in Deutschland. Diese Umstellung auf ein anderes Schreibwerkzeug veränderte aber auch die Schrift, da der Duktus, also das besondere Charakteristikum dieser Schrift, nun nicht mehr durch den Richtungswechsel erzeugt wurde, sondern durch den Druck, den der Schreiber auf das Schreibgerät auswirkte.
Die Folge davon war eine sehr „steile“ Schrift, bei der die Ober- und Unterlängen der Buchstaben sehr groß, der mittlere Teil jedoch stark verkleinert war. Diese Schrift war nur noch schwer lesbar, sodass die preußische Regierung 1911 Ludwig Sütterlin den Auftrag gab, eine Schrift zu erfinden, die diese Makel nicht mehr aufwies. So entstand die Sütterlinschrift, die immer die gleiche Strichstärke aufweist, keine Steillagen mehr hat und damit sehr gut lesbar ist. Außerdem war sie so konzipiert, dass sie mit jedem Schreibgerät geschrieben werden konnte, ohne Abstriche bei der Qualität hinnehmen zu müssen. Ab 1914 wurde die Schrift in preußischen Grundschulen gelehrt, später dann, ab den 1930er Jahren, an allen deutschen Schulen.