Worte finden, wenn Bilder erdrücken
Marita Engelbracht und Michael Casimir sind im Kirchenkreis Leverkusen als Notfallseelsorger im Einsatz.
Burscheid/Leverkusen. Es sind schreckliche Bilder, die sich Menschen nach schweren Unfällen, Hausbränden oder anderen Unglücken bieten. Es sind Bilder, die man nicht vergessen kann, die sprachlos machen. In diesen Momenten die richtigen Worte zu finden und Angehörigen und Zeugen Trost zu spenden, ist die Aufgabe der zehn hauptamtlichen und 17 ehrenamtlichen Notfallseelsorgern im Evangelischen Kirchenkreis Leverkusen.
Zwei, die sich freiwillig für Menschen in solchen Situationen engagieren, sind Marita Engelbracht und Michael Casimir. Über eine Notrufnummer werden sie von der Feuerwehr verständigt und eilen zum Unglücksort. „Ich empfinde diese Tätigkeit als Berufung“, sagt die Hilgenerin. Über die Arbeit in der Seelsorge ihrer kirchlichen Gemeinde findet sie den Weg zu ihrer heutigen Aufgabe. „Ich habe gemerkt, dass ich in schwierigen Situationen die richtigen Worte finden und so Menschen wieder aus ihrer Sprachunfähigkeit zurückführen kann“, erklärt die 54-Jährige.
Bei Michael Casimir war es ein Gottesdienst für Einsatzkräfte, Polizisten und Feuerwehrleute, der ihn auf die Notfallseelsorge aufmerksam gemacht hat. „Ich habe gesehen, wie wenige Notfallseelsorger da vor Ort waren und wir groß der Bedarf war, solche Teams personell zu verstärken“, sagt der 53-Jährige, der in der Chemiebranche arbeitet. Über Marita Engelbracht kommt er in Kontakt mit den Notfallseelsorgern und lässt sich für seine Tätigkeit ausbilden.
„Der Weg zum ersten alleinigen Einsatz wird sehr gut vorbereitet. Nachdem Erstgespräch folgt eine fundierte Ausbildung. Danach hospitieren die neuen Notfallseelsorger bei Einsätzen und entscheiden dann selbst, wann sie soweit sind, um alleine rausgehen zu können“, erläutert Teamleiterin Ann-Carolin Boddenberg. Die Ausbildung selbst umfasst vier jeweils dreitägige Module und dauert zwischen einem halben und einem dreiviertel Jahr. Die Kosten trägt die Evangelische Kirche, die diesen Dienst in Notsituationen anbietet.
Boddenberg ist sich bewusst, wie wichtig Ehrenamtler heute sind: „Die Aufgaben der Pfarrer als hauptamtliche Notfallseelsorger werden in den Gemeinden immer größer und komplexer, da sind Menschen, die sich freiwillig engagieren wollen, von großer Bedeutung“, sagt Boddenberg. Sie war unter anderem auch als überörtliche Hilfe bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg im Einsatz. „Solche Einsätze hinterlassen Spuren. Das gilt auch bei Notfallsituationen, bei denen Kinder beteiligt sind“, erklärt die Notfallseelsorgerin, die selbst auch Mutter ist. Dafür gebe es auch für die Helfer eine gute Nachbetreuung.
Marita Engelbracht Notfallseelsorgerin
Bei Michael Casimir kam der Tag X nach einer guten Vorbereitung: „Ich bin bei anderen Notfallseelsorgern zuvor mitgegangen und habe dabei auch Situationen mit Toten erlebt. Ich habe bei den Einsätzen erfahren, dass diese Aufgabe etwas für mich ist, weil man Menschen in Krisenzeiten eine große Unterstützung geben kann. Sie sind sehr dankbar, wenn ihnen jemand dann zur Seite steht“, sagt Casimir. Bei seinem ersten Einsatz hat er Zeugen eines Suizids betreut. Zu den Einsätzen fährt er immer gemeinsam mit seiner Frau, die ebenfalls Notfallseelsorgerin ist.
Wenn Marita Engelbracht an einen Unfallort kommt, weiß sie inzwischen, wie sie am besten vorgehen muss: „Häufig sind es nicht die Menschen, die laut weinen und schreien, die am dringendsten Hilfe brauchen, sondern die die still am Rande des Geschehens stehen“, sagt die Ehrenamtlerin. Zentrale Aufgabe sei es, Menschen in Krisensituationen dabei zu helfen, wieder aufeinander zu zugehen und die Sprache wiederzufinden. „Wichtig ist es die richtigen Worte zu finden, aber auch immer bei der Wahrheit zu bleiben.“
Gearbeitet wird in zwei Tagschichten à sechs Stunden und in einer zwölfstündigen Nachtschicht. „Dafür kann man sich dann beim Team in einer Liste eintragen. Jeder kann auch festlegen, ob er alleine raus will, und mit welchen Situationen er nicht konfrontiert werden möchte“, sagt Boddenberg. „Wenn ich nach einem Einsatz nach Hause komme, brauche ich erst mal Zeit, um wieder runterzukommen. Ich bin froh, dass ich dann Dinge im Gebet bei Gott abgeben kann. Oft dauert es einige Tage, bis man einen Einsatz wirklich verarbeitet hat“, berichtet Marita Engelbracht.