Erfahrungen in Neuss Cannabis: Weniger Delikte, mehr Sorgen
Neuss · Seit knapp einem halben Jahr ist nun auch die zweite Stufe des Cannabisgesetzes rechtskräftig – Zeit, um Bilanz zu ziehen. Wie Polizei, Ordnungsamt und Suchtberatung die Situation bewerten.
Noch bevor das Cannabisgesetz in Kraft getreten war, warnte die Neusser CDU vor den unkontrollierbaren Folgen dieser Legalisierung. Die Einhaltung der Regeln könne angesichts des Personalmangels in den Kommunen und den zahlreichen Bereichen, in denen Kiffen in der Stadt verboten ist, nicht wirksam kontrolliert werden. Mittlerweile ist jedoch auch die zweite Stufe des Gesetzes seit einem knappen halben Jahr rechtskräftig, in NRW wurde bereits die erste legale Cannabis-Ernte eingefahren. Und in Neuss? Wie hat sich die Arbeit der Polizei- und Sicherheitskräfte sowie Suchtberater seit der Legalisierung verändert?
„Eine grundlegende Veränderung in der Arbeit ist nicht eingetreten“, heißt es seitens des städtischen Ordnungsamtes. Lediglich die Mitarbeitenden mussten bezüglich der rechtlichen Neuerungen geschult werden: Die Abläufe von Kontrollen wurden erarbeitet und eingeübt, sodass die neue Aufgabe nun Teil des täglichen „Bestreifungs- und Kontrollalltags“ ist. Diesen gehe man nun mit dem Personal, das zur Verfügung steht, nach. Denn wie die CDU bereits anmerkte, stellen die personellen Schwierigkeiten in der Kommune eine Herausforderung dar – nicht nur im Hinblick auf die Umsetzung des Cannabisgesetzes. Dementsprechend spricht das Ordnungsamt von einer Aufgabenerfüllung „im Rahmen der möglichen Ressourcen“.
Knapp 50 Verstöße gegen das Cannabisgesetz wurden seitdem festgestellt. Von einem Anstieg der Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis könne jedoch keine Rede sein, wie die Kreispolizeibehörde mitteilt – im Gegenteil. Täglich kontrollieren die Einsatzkräfte bekannte Treffpunkte der Drogenszene im Kreisgebiet und konnten dabei feststellen, dass die Zahl der Delikte (auch im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln insgesamt) in den ersten Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes merklich zurückgegangen sei.
Anders sieht es jedoch im Straßenverkehr aus. Die Polizei führt nach eigenen Angaben regelmäßig Verkehrskontrollen an Orten im Kreisgebiet durch, an denen es in der Vergangenheit häufig zu Unfällen oder Verkehrsdelikten gekommen ist. „Dabei wurden in den vergangenen Monaten auch mehrere Autofahrer erwischt, die eine THC-Konzentration über dem erlaubten Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter im Blutserum aufwiesen“, berichtet Sprecher Dominik Schneider. Auch die Zahl der Unfälle, in denen Betäubungsmittel im Spiel waren, seien leicht angestiegen.
Aber: Die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz im Straßenverkehr werden weniger, so Schneider mit Verweis auf aktuelle Tendenzen. Die Erfahrung der letzten Monate habe gezeigt, dass sich ein Großteil der Konsumenten an die geltenden Gesetze hält. Ob und in welchem Maße die Social Clubs die Zahl der Cannabis-Konsumenten beziehungsweise deren Konsum beeinflussen, kann laut Schneider derzeit aber nicht seriös vorausgesagt werden.
Die noch größere Gefahr liegt Philipp Alfken zufolge aber ohnehin woanders. Der Fachbereichsleiter Suchtkrankenhilfe der Caritas verweist auf die Gefahren des fortbestehenden Schwarzmarktes, der Jugendlichen weiterhin als illegale Bezugsquelle dient. Dort gerieten sie nicht nur in Kontakt mit verunreinigtem Cannabis, sondern auch mit anderen Drogen und mit Kriminalität. Dementsprechend sei es entscheidend, den Schwarzmarkt weiter einzudämmen und gleichzeitig präventive Maßnahmen zu verstärken. „Es ist wichtig, zu betonen, dass Suchtverhalten unabhängig von der Legalität einer Substanz auftreten kann“, so Alfken.
Und dennoch habe die Legalisierung von Cannabis auch die Arbeit der Fachambulanz der Caritas Sozialdienste Rhein-Kreis Neuss spürbar beeinflusst. Obwohl sich der Trend bereits seit etwa zehn Jahren abzeichnet, nehmen die Experten eine zunehmende Bagatellisierung wahr. Seit der Legalisierung werde Cannabis als harmlos wahrgenommen, berichtet der Fachbereichsleiter. Dementsprechend müsse die Fachambulanz vermehrt über Nebenwirkungen, insbesondere bei Jugendlichen, und allgemeines Suchtverhalten informieren. „Besorgniserregend ist, dass viele Konsumenten psychische Probleme wie Ängste und Depressionen nicht mit ihrem Cannabiskonsum in Verbindung bringen“, nennt Alfken als ein Beispiel.
Doch auch immer mehr Eltern suchten derzeit verstärkt Beratung bezüglich des Cannabiskonsums ihrer Kinder. Sie berichten dem Experten zufolge von einer Vielzahl besorgniserregender Symptome und Verhaltensweisen, wie psychische Auffälligkeiten, Motivationsprobleme oder Verhaltensänderungen. Dementsprechend hat auch die Caritas ihre Präventionsmaßnahmen mit der Legalisierung von Cannabis in einigen Bereichen angepasst: Unter anderem werden jüngere Zielgruppen, insbesondere Kinder und Jugendliche, stärker in den Fokus gerückt. Dafür setzen sie auf schulbasierte Präventionsprogramme und fordern auch eine verstärkte Kooperation mit Jugendämtern oder Jugendeinrichtungen.