Eltern nur noch mit Negativtest Kinderärzte in NRW warnen: Mit neuer Testpflicht droht Kollaps der Praxen

Viersen · Den Kinderärzten in NRW reicht es. Ihre Praxen arbeiten bereits am Anschlag - Infektsaison, Impfen gegen das Coronavirus. Und nun kommt eine neue Testpflicht quasi über Nacht.

Kinderärzte protestieren vehement gegen neue Corona-Regelungen.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Kinder- und Jugendärzte gehen auf die Barrikaden: Sie protestieren vehement gegen eine neue Pflicht, nach der begleitende Eltern nur noch mit Negativtest in die Praxen kommen dürfen und das Personal täglich getestet werden muss. Die Kinderärzte seien fassungslos über die medizinisch unsinnige Neuregelung im geänderten Infektionsschutzgesetz, die zur Schließung vieler Praxen führen könne, warnte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in NRW am Mittwoch.

„Wir drehen alle am Rad. Wir haben Infektsaison, wir impfen gegen Corona. Unser Personal ist am Ende. Und dann kommt so eine Anordnung aus der Politik“, sagte die BVKJ-Vorsitzende Nordrhein, Christiane Thiele, der Deutschen Presse-Agentur.

Erfolge bis Ende der Woche „keine rechtssichere, praxistaugliche und kostenneutrale Korrektur, sollten alle Praxen ganz konkret die Schließung einplanen“, betonten Thiele und der Vorsitzende für Westfalen-Lippe, Marcus Heidemann, in einer gemeinsamen Erklärung. „Wir sind es leid, jeden Tag hinter einem Türchen im Corona-Adventskalender eine neue politische Überraschung vorzufinden, die dann in der Praxis den Alltag erschwert“, stellte Heidemann klar. Zuvor hatte die „Rheinische Post“ berichtet.

„99 Prozent unserer Patienten werden von ihren Eltern begleitet“, schilderte Thiele auf dpa-Anfrage. Auch wenn die Eltern geimpft seien, müssten sie nun einen Test vorlegen, bevor sie Zutritt zur Kinderarztpraxis bekommen - oder dort vor Ort getestet werden. Zudem müsse das gesamte Praxispersonal täglich getestet werden. „Dabei sind die meisten geboostert“ - also dreifach gegen das Coronavirus geimpft. Ausnahmen gelten nur für die Patienten selbst, also die Kinder, die nicht getestet werden müssen.

Das Ganze sei praktisch über Nacht gekommen. Erst am Dienstag seien die Praxen über die Kassenärztliche Bundesvereinigung informiert worden. „Die KBV hat uns das gestern Abend mit Wirksamkeit heute mitgeteilt“, berichtete die Kinderärztin aus Viersen. „Die Stimmung ist in allen Bundesländern die gleiche: Es reicht.“

Es gebe kaum noch Schnelltests. „Ich habe noch 50 bis 60 Tests. Auf dem Markt ist nichts mehr erhältlich. Ich kann mein Personal noch ein paar Tage testen, nächste Woche müsste ich dann schließen“, sagte Thiele. „Wenn ich auch noch die Eltern teste, müsste ich morgen schließen.“ Ähnlich sieht es der Bonner Kinderarzt Axel Gerschlauer. „Ich habe noch 30 Tests. Spätestens nächste Woche wäre dann hier Schluss.“

Gerschlauer sprach von einer „Schwachsinnsregelung“. Und: „Ich muss sie heute boykottieren, weil ich meine Patienten sonst nicht behandeln kann.“ Die Test- und Kontrollpflicht könne nicht funktionieren: „Wenn eine Mama vor der Tür steht mit einem vor Ohrenschmerzen weinenden Kind an der Hand, aber ohne Negativtest, dann werde ich sie sicher nicht erst mal ins Impfzentrum schicken.“

Dass die Politik „eine solche Regelung ohne Nachdenken und ohne Sachkenntnis“ auch gleich mit einer Bußgeldandrohung versehe, verärgere die Ärzte, meinte der Bonner Mediziner. In Sachsen versuche man es mit einem „Kunstgriff“ und definiere Eltern als Einheit mit ihrem Kind, um so die neue Testpflicht zu umschiffen.

Der Berufsverband stellte klar: Die Passage aus dem umstrittenen Infektionsschutzgesetz von SPD, Grünen und FDP bedeute für alle Praxen einen erheblichen Kosten- und Zeitaufwand. Das geänderte Gesetz war vom Bundestag in der vergangenen Woche verabschiedet worden, auch der Bundesrat hatte grünes Licht gebeben.

Wer die vielen zusätzlichen Tests bezahlen soll, ist offen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung forderte: „Aufgrund der nunmehr täglichen Testpflicht müsse die Anzahl der kostenfreien Tests umgehend erhöht werden.“

Aus Sicht der Kinderärzte sind sie zur Entscheidung gezwungen, entweder „das neue Gesetz bewusst zu ignorieren, um die Patientenversorgung aufrecht zu erhalten oder die Praxen noch diese Woche zu schließen und die Nachbesserung der Regelungen abzuwarten.“

(dpa)