Cellist Gautier Capuçon kommt nach Düsseldorf Leidenschaft mit Würde

Düsseldorf · Die Wiener Symphoniker gastieren in der Tonhalle. Solist ist der berühmte Cellist Gautier Capuçon. Erinnerungen an eine Begegnung.

Der Cellist Gautier Capuçon während eines Konzerts im jahr 2022. Nun wird er in der Tonhalle auftreten.

Foto: Roman Zach-Kiesling/dpa

Im Jahr 2002 bekam ich eine spannende Einladung. Ob ich im Juni nach Lugano fliegen wollte? Dort sollte es das erste Festival geben – „Progetto Martha Argerich“ genannt –, das die Schallplattenfirma Emi komplett auf die weltberühmte Pianistin zugeschnitten hatte. Sie hatte gewissermaßen Carte blanche, sie durfte befreundete Musiker einladen, wen immer sie wollte; gemeinsam würden sie Kammermusik machen. Solokonzerte gab La Martha, wie sie in der Branche liebevoll-ehrerbietig gerufen wurde, ja schon lange nicht mehr.

Lugano würde zu einem hinreißenden Familientreffen werden, da war man sich sicher. Etliche Künstler würde ich, hieß es, sehr persönlich kennenlernen, abends sei immer ein gemeinsames Essen vorgesehen. Ob die stets scheue Martha Argerich jedoch ein Interview geben würde, war unklar. Wahrscheinlich nicht. Aber das sei egal.

Natürlich flog ich hin. Jeden Tag gab es mehrere Konzerte der Spitzenklasse, die einem nachts den Schlaf raubten, so intensiv waren sie. Bis in den späten Abend saß man mit Koryphäen der Kunst zusammen und fachsimpelte über Pfretzschner-Geigenbögen oder die Unterschiede zwischen Konzertflügeln aus Fernost, Hamburg, Italien und Österreich.

Einmal saß ich beim Dinner neben Gautier Capuçon. Von diesem französischen Cellisten wusste ich, dass er der jüngere Bruder des Geigers Renaud Capuçon war und vor einiger Zeit den Navarra-Preis in Toulouse gewonnen hatte; dass er 23 Jahre alt war und vor einer epochalen Karriere stand. Am nächsten Abend sollten La Martha, sein Bruder und er Klaviertrios spielen. Er war ein bisschen nervös, weil ja auch der berühmte Cellist Mischa Maisky kommen sollte, mit dem Argerich so gern spielte.

Ich fragte Capuçon, ob er sich den Vergleich mit dem Langweiler Maisky nicht zutraute. Er schaute mich an, als ob ich soeben Stinkbomben in den Vatikanischen Museen gezündet hätte. Ich setzte nach: „Gautier, kennst du eine wirklich gute Platte von Maisky?“ Er schaute sozusagen durch mich hindurch, lächelte unmerklich und sagte: „Mischa ist ein Genie.“ Und zwinkerte.

Gautier Capuçon flankiert
die Leidenschaft mit Würde

Sein Konzert am folgenden Abend wurde sensationell. Er war das Brikett und der Heizer in einem. Er rührte die Musik vom Cello aus auf. La Martha mochte diesen Temperamentsblitz ungemein und korrespondierte mit ihm im Konzert durch die Sprache der Musik, ich werde dieses Konzert nie vergessen. Renaud gab dem Glück den Rest. Wieder war ich als Hörer für die Nacht nicht zu gebrauchen.

Nun kommt dieser wunderbare Gautier Capuçon, den ich seitdem verfolgt habe, als sei er mein Lieblingsneffe, in die Tonhalle, und zwar mit den Wiener Symphonikern. Dort spielt er das Werk, das er in den vielen Jahren so oft aus dem Feuer geborgen und dann dem Feuer zurückgegeben hat: das Cellokonzert h-Moll des 1904 in Prag gestorbenen Komponisten Antonin Dvorák. Viele Cellisten veranstalten hier ein leidenschaftliches Gewühl, sie schaben und kratzen, sie sägen und weinen, das Cello als Tränenfass und offener Kamin, in dem die Scheite um die Wette brannten. Gautier Capuçon hat es ebenfalls schon oft gespielt, aber bei aller Energie gibt er ihm etwas Nobles, Klassizistisches. Er flankiert die Leidenschaft mit Würde. Er zeigt, dass Paris und Prag eigentlich dicht nebeneinanderliegen.

Da trifft es sich gut, dass das Düsseldorfer Konzert der tschechische Dirigent Petr Popelka leitet, der ja in Prag geboren wurde. Der ist noch nicht so prominent wie Capuçon, den man sicher zu den besten Cellisten der Welt rechnen darf. Aber Popelka macht Furore. Er ist der neue Chef der Wiener Symphoniker, als Nachfolger von Andrés Orozco-Estrada, zu dem das Orchester keine emotionale Verbindung aufbauen konnte. Das wird mit Popelka nicht passieren.

Der Intendant der Wiener Symphoniker, Jan Nast, rollte Popelka jedenfalls einen roten Teppich aus, indem er nach einem gemeinsamen Konzert sagte: „Die Aufführung von Gustav Mahlers erster Symphonie mit Popelka war für viele Musikerinnen und Musiker – und auch für mich persönlich – denkwürdig. Plötzlich haben wir alle gespürt, dass etwas Einmaliges in der Luft lag. Die Zusammenarbeit mit ihm ist inspirierend, befruchtend, stets dialogisch und von einer gemeinsamen kreativen Begeisterung geprägt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit ihm einen Ausnahmekünstler gefunden haben, mit dem wir als Orchester langfristig den unverwechselbaren Geist des Orchesters weiterentwickeln können.“

Popelka hat das Dvorák-Konzert sehr apart mit expressiver Umgebung versehen: mit zwei Orchesterwerken von Richard Strauss, nämlich dem „Don Juan“ und „Till Eulenspiegels lustigen Streichen“. In beiden Werken kann ein Orchester nicht nur seine Brillanz ausstellen, sondern auch die Temperamente zweier berühmte Helden aufscheinen lassen: dort die Getriebenheit eines Erotomanen, hier den schalkhaften Humor eines famosen Narren. Für diese beiden Meisterwerke ist eine klirrend-gewaltige Orchesterbesetzung erforderlich – und Popelka und die Wiener können zeigen, wie einvernehmlich sie bereits luxuriöse Klänge entfesseln.