Devid Striesow las in Düsseldorf Flaues Gefühl im Magen
Düsseldorf · Ausverkauft. Mal wieder. Das kennt man schon von Lesungen im Robert-Schumann-Saal. Am Sonntag war es der Schauspieler Devid Striesow, der das Publikum mit dem Programm „Wenn die Kerzen flackern“ anlockte.
800 Zuhörer lauschten gebannt seinen „Texten zum Gruseln und Glucksen“ vor stimmungsvoller Kulisse.
Die Bühne dunkel, von oben strahlt es rot, auf schwarzem Hintergrund züngeln Flämmchen. Launig begrüßt Devid Striesow das Publikum: „Was hat Sie bloß geritten? Sie hätten so schön zu Hause sitzen können, anstatt später in der Dunkelheit den Heimweg anzutreten.“
Er beginnt mit dem von Stephen King postulierten Dreiklang des Grauens: Schrecken, Horror, Ekel. Leitet dann über zu „Es“, einem mehrfach auch verfilmten Klassiker des Autors. Es soll Leute geben, die nicht imstande sind, den Roman um den bösen Clown Pennywise auch nur zu lesen, so drastisch schleicht sich hier das Grauen ins Gemüt. Striesow nimmt sich die Passage vor, in der ein Junge sein aus Zeitungspapier gebasteltes Boot beim Treiben durch den Rinnstein verfolgt – bis es von einem Gully verschluckt wird. Daraus taucht Pennywise auf und packt den Kleinen. „Was er dann sah, brachte ihn schlagartig um den Verstand“, raunt Striesow. Schauergeschichten habe es immer gegeben, sagt er und zitiert „Die sieben Posaunen“ aus der biblischen Offenbarung des Johannes. Im Zeitalter der Aufklärung galten sie jedoch als abergläubisch und infantil, interessanter waren nun die Motive der Unholde. Seine Lesung garniert der Schauspieler mit Anekdoten. Wer weiß denn schon, wie Mary Shelley zu ihrer Erzählung „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ inspiriert wurde? Das war in der Schweiz. Shelley und ihre Clique, eingeschlossen vom Schnee, gaben sich dem Opium und wilden Orgien hin. Kein Wunder, dass die Autorin zwischen den Blitzen eines Unwetters ein Gesicht zu erblicken glaubte.
Und daraufhin Frankenstein ersann. Aus wissenschaftlicher Neugier erschuf er eine Kreatur, die ihn voller Entsetzen fliehen ließ, sobald sie die trüben Augen öffnete. Da ist die Schönheit des Traums verblichen.
Geschickt jongliert Devid Striesow mit hartem Grusel-Tobak und leichtfüßigen Seitensprüngen wie etwa Christian Morgensterns „Werwolf“. Das Grauen, versichert er, könne sich überall verstecken. Sogar auf einer Luxus-Kreuzfahrt, geschildert von David Foster Wallace in „Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“.
Er sei mit Horrorgeschichten aufgewachsen, lässt Striesow wissen und führt den „Struwwelpeter“ an. Offenbar ist er nicht der Einzige. Wenn „Paulinchen“ zündelt und lichterloh brennt, wird der Text leise mitgewispert. Nach heutigen pädagogischen Maßstäben ist es unbegreiflich, dass Heinrich Hoffmann seine grausamen Kindergeschichten (etwa den „Daumenlutscherbub“ und den „Suppenkasper“) für seinen dreijährigen Sohn aufgeschrieben hat, weil er die üblichen Kinderbücher zu langweilig fand.
Bei seinem flotten Parcours durch das Reich des Schreckens streift Devid Striesow auch Franz Kafkas „Der Prozess“ und „Die schwarze Katze“ von Edgar Allan Poe, der sich keinesfalls als Gruselautor verstand. Er bestand darauf, in menschliche Abgründe zu blicken, was ihm hier meisterhaft gelingt. Am lautesten aufgestöhnt wird beim Blutrausch in „American Psycho“ von Bret Easton Ellis und „Der Horror der frühen Medizin“ von Lindsey Fitzharris. Die Geschichte spielt zu einer Zeit, in der Operationssäle Metzgereien ähnelten und Narkosen unbekannt waren. Der darin beschriebene Londoner Chirurg Robert Liston mit dem Beinamen „das schnellste Messer im Westend“ offenbarte bei seinen Eingriffen wenig Empathie, tat sich später aber als Revolutionär der Medizin hervor und legte den Grundstein für die Vollnarkose.
Mit einem so flauen Gefühl im Magen könne er keinen entlassen, zeigt sich Striesow einsichtig und verspricht ein Betthupferl. Als ob „Sylvester bei den Kannibalen“ harmlos wäre, bloß weil Joachim Ringelnatz sich einen Reim darauf gemacht hat. Aber: Horror und Humor, das geht tatsächlich. Jedenfalls, wenn es so fein und kunstvoll serviert wird wie bei dieser schaurig-schönen Lesestunde.