NRW 100 Kilometer durch die Wüste

Die Gerresheimer Schwimmerin Melanie Ragot hat während des Lockdowns das Laufen für sich entdeckt.

Melanie Ragot beim Desert Ultra auf Fuerteventura.

Foto: RP/MR

Wenn Melanie Ragot früher von den verrückten Dingen gehört hat, die Sportler unternehmen, um an ihre Grenze zu kommen, dann hatte sie dafür überhaupt kein Verständnis. „Und nun gehöre ich selbst zu den Verrückten“, sagt die 48-Jährige Gerresheimerin scherzhaft und schüttelt lachend den Kopf. Vor kurzem hat sie den Halbmarathon des Sables Fuerteventura absolviert und ist dort an das süchtig machende Gefühl der Erschöpfung herangekommen. „Nun habe ich verstanden, warum Menschen so etwas tun, obwohl sie auf ihrem Weg so sehr leiden. Ich habe Schönheit gesucht. Und ich habe sie gefunden in dem Moment der totalen Erschöpfung, wenn ich auf die Zähne beiße und einfach weitermache.“

Melanie Ragot ist auch Tage nach ihrem Erlebnis noch berauscht und überwältigt. Euphorisch versucht sie von ihrem Glück während ihres Abenteuers zu berichten. Worte, die ihre Gefühle wirklich treffend beschreiben könnten, findet sie aber nicht. „Dafür gibt es keine Begriffe“, sagt sie. „Die Bilder, die ich während meines Abenteuers gesammelt habe, sind einmalig und haben sich tief in meine Seele und Erinnerung gebrannt. Ich werde sie mein Leben lang nicht mehr loswerden.“

Das Leiden gehöre dazu, das Mit-der-Hitze-klarkommen, das Vier-Tage-nicht-waschen-können, das sandige Essen. Die gebürtige Hamburgerin weiß: „Das werde ich noch ein weiteres Mal brauchen. Das war nicht mein letzter Lauf dieser Art.“ Zwar habe sie die Erwartung der nahenden Ziellinie aufrecht gehalten, die Erwartung der baldigen Erlösung von der Strapaze. „Das Schöne war aber der Weg. Alles das, was ich mitgenommen habe. Jeder einzelne kleine Schritt, auch während der Vorbereitung.“

Ungewöhnlich ist, wie sie die Faszination entdeckt hat. Ohne den Lockdown während der Pandemie wäre sie vermutlich nicht dahin gekommen, wo sie sich jetzt befindet. Die gebürtige Hamburgerin, die seit 20 Jahren in Düsseldorf lebt, ist eigentlich Schwimmerin, hatte mit Laufen bislang nicht viel am Hut. In jungen Jahren gehörte sie im Wasser zu den besten deutschen und europäischen Sportlerinnen, holte einige nationale und kontinentale Titel. Unter anderem wurde sie Ende der 80er-Jahre dreimal in Folge Deutsche Mannschaftsmeisterin, bekam ein Sportstipendium für die USA und schwamm von 1995 bis 1997 für eine Uni in Michigan, ehe sie als Trainerin und Mutter ihre Aktivenkarriere beendete.

Nach 13 Jahren Pause begann Ragot wieder mit Sport

Erst 2010 begann sie wieder mit Sport, war schon 2012 wieder so gut, dass sie bei der Weltmeisterschaft der Masters im Schwimmen im italienischen Riccione dabei war. Von 2011 bis 2019 betrieb sie eine eigene Schwimmschule. Als im Lockdown die Schwimmbäder geschlossen waren, begann sie eher notgedrungen mit Laufen im Grafenberger Wald, der direkt vor ihrer Haustür liegt. „So habe ich die Disziplin gewechselt“, sagt sie. „Ich habe gemerkt: Ich kann beim Laufen gut abschalten, denn ich komme nach einer Zeit in einen Flow, in dem ich das Gefühl habe, ich kann unendlich weit laufen. Es ist eigentlich egal, wie lang die Strecke ist. Das ist einer der Punkte, in dem Laufen ganz anders als Schwimmen ist.“ Zwar war sie im Lockdown auch in Sachen Schwimmen kreativ und stieg während des Aprils mit ihren Kindern in Neoprenanzügen in den eiskalten Unterbacher See. Doch die Faszination galt nun zuerst dem Rennen: Sie organisierte für sich einen Marathon, lief zur Vorbereitung auf den Wüsten-Marathon sieben Mal um den Unterbacher See. „Ich habe für die 42 Kilometer 3:52 Stunden gebraucht und war mächtig stolz auf die gute Zeit.“ Rund um Weihnachten 2020 legte sie knapp 100 Kilometer in einer Woche zurück.

Doch dann kam der Schreck: Kurz nach der Anmeldung für den Marathon de Sables brach sie sich den Zeh und musste ärztlich verordnet eine Pause bis in den April hinein einlegen. Die Teilnahme an dem Wettbewerb schien außer Reichweite. Die Zeit nutzte sie dennoch, um sich in Sachen Ausrüstung vorzubereiten, denn die muss der Läufer auf der Strecke dabeihaben. „Und das ist eine knifflige Sache, wenn man Schlafsack und den kompletten Proviant mitschleppen muss. Da kommt es auf jedes Gramm an. Ich habe mich unter anderem mit gefriergetrockneter Nahrung beschäftigt und sie getestet.

Und dann schaffte Melanie Ragot es doch nach Fuerteventura. Los ging es auf die erste der drei Etappen im Dunkeln mit Stirnlampe. Sie kam schließlich nach 100 anspruchsvollen Kilometern über Geröll, Felsen und Sand, nach 17:23 Stunden als 17. von 157 Frauen ins Ziel. In ihrer Altersklasse wurde sie Vierte. Die Zielankunft fühlte sich wie ein Sieg an. 45 von 800 Startern hatten aufgegeben. Um mehr als das Erreichen des Zieles ging es Ragot dabei gar nicht: „Ich habe nie auf die Platzierung geschaut. Ich wollte ein verrücktes, cooles Abenteuer, Erfahrung sammeln, Spaß haben und mit einem Lachen ins Ziel kommen. Und das ist mir gelungen!“