Jüdische Flüchtlinge aus der Ukraine Die Thora-Schule von Dnipro liegt jetzt in Düsseldorf

Düsseldorf · Die 40 Jungen und ihre Lehrer flohen vor dem Krieg in der Ukraine. Aufnahme fanden sie in der Düsseldorfer Gemeinde von Chabad Lubavitch.

090322 Thoraschüler Simcha (16) gehört dazu zu den Thora-Schülern hier beim Lernen im Gemeindezentrum von Chabad Lubavitch in Düsseldorf -- sie kamen vor wenigen Tagen aus der Ost-Ukraine nach Düsseldorf Bild: Andreas Bretz

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Am Ende musste es am Bahnhof von Dnipro ganz schnell gehen. Denn in einem Waggon des Zuges, der die Stadt Minuten später verließ, waren überraschenderweise noch Plätze frei. So viele, dass es für die 40 zum Bahnhof geeilten Jungen der Thora-Schule von Dnipro und ihre erwachsenen Begleiter reichte. Sie ergriffen die Chance und stiegen ein, Minuten später rollte der Zug in Richtung Odessa am Schwarzen Meer. „Es war der vorletzte, der noch nach Odessa fuhr“, sagt Chaim Barkahn, Rabbiner der jüdischen Chabad Lubavitch-Gemeinde in Düsseldorf.

Es sollte für die Jungen, von denen viele später einmal Rabbi in einer der Chabad-Gemeinden werden wollen, eine lange Reise werden. Ohne Eltern und Familienangehörige. Denn die leben häufig in anderen Regionen der Ukraine oder mussten vorerst noch in Dnipro bleiben, um sich um Angehörige zu kümmern. Mit dem Auto ging es drei Tage nach Kriegsbeginn nach Moldawien und weiter nach Bukarest. „Von dort per Flugzeug nach Paris oder nach Brüssel, wir haben die Jungs auf unterschiedliche Flieger verteilt“, sagt Barkahn, der den Rabbinern der Thora-Schule die Aufnahme zuvor angeboten hatte. Schließlich brachten Busse die jungen Ukrainer und ihre Lehrer nach Düsseldorf, wo Chabad Lubavitch in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde an der Zietenstraße die 40 Jugendlichen in einem Hotel unterbrachte.

„Wir sind froh, hier zu sein“, sagt Simcha, der an diesem Vormittag im Düsseldorfer Zentrum der Chabad-Gemeinde bereits wieder über den alten Schriften sitzt. Angeleitet von seinem ebenfalls geflüchteten Rabbiner Chaim. Seine bisherige Jugend in der Ukraine beschreibt der 16-Jährige als „goldene Zeit“. Nur selten seien er oder seine Mitschüler, die schon wegen ihrer traditionellen Kleidung als Juden zu erkennen sind, mit negativen Bemerkungen oder Blicken konfrontiert worden. „Ein paar Kleinigkeiten sind passiert, aber nichts Ernstes“, sagt Mendel, der ihm an diesem Vormittag gegenüber sitzt.

Bis zuletzt hatten die Jungen gehofft, dass es doch keinen Krieg geben würde. Aber bereits in der Woche vor dem Angriff gingen sie schon häufiger in den Keller ihrer Schule. Wer nicht aus der Umgebung von Dnipro stammt, lebt auch in dem Gebäude-Komplex. Die Chabad-Gemeinden sind stolz auf ihre ukrainische Jeschiwa (Thora-Schule), die nun vorübergehend in Düsseldorf fortgesetzt wird. Laut Barkahn ist es die einzige ihrer Art in der Ukraine. „Eine Perle des jüdischen Lebens, die nicht von ungefähr in Dnipro ihren Sitz hat“, sagt er. Denn in der Stadt leben mindestens 30.000 Juden. Es gibt mehrere Synagogen und mit Menachem Mendel Schneerson wuchs dort auch einer der Väter der Chabad-Bewegung auf.

Über Telefonate und Soziale Medien versuchen die Jungs Kontakt in die Heimat zu halten. Je nach Wohnort der Verwandten mit unterschiedlichem Erfolg. So weiß Simcha, dass seine Mutter inzwischen in Israel gelandet ist, aber noch keine Unterkunft hat. Sein Vater war zuletzt noch in der Ukraine. „Er kümmert sich um meine Großmutter und sucht nach Möglichkeiten, gemeinsam mit ihr über die Grenze zu kommen“, sagt der Junge. Ähnlich ist es bei Shalom vom Nachbartisch. Sein Vater ist in der Heimat Vorsitzender eines jüdischen Verbands. Auch er blieb in dem umkämpfen Land. „Vater ist geblieben, um Leute zu retten“, sagt der 14-Jährige.

  Wie seine Freunde, die mit ihm am Tisch sitzen, möchte auch Simcha gerne Rabbi werden. Darüber, wo das sein wird, machen sich die Schüler im Moment noch keine Gedanken. Sie sind erst einmal froh, dem furchtbaren Krieg entkommen zu sein. Wollen sie in die Ukraine zurückgehen, auch wenn ihre Heimat nach dem Krieg ein anderes Land sein wird? Das habe weniger mit Wollen oder Nicht-Wollen zu tun, bemerken die drei. „Wir werden überall dorthin gehen, wo uns die Menschen als Leiter einer Gemeinde brauchen“, sagen sie. Dann setzen sie ihre Lektüre der heiligen Bücher fort.