Kultur Das Mitmachstück „Die Versammlung“ beendet das Festival „Theater der Welt“ in Düsseldorf

DÜSSELDORF · Es ist angerichtet: eine große Tafel mitten auf der Bühne, Wein, Wasser, Säfte und einzeln verpackte Teller mit feinen Snacks. Mikrophone und Kameras.

„Die Versammlung“ beschloss im Düsseldorfer Schauspielhaus das Festival „Theater der Welt“.

Foto: Tanja Kernweiss

Vier Menschen treffen sich zum ersten Mal bei einem Abendessen und reden nicht einfach über Gott und die Welt, sondern über „heiße Eisen“ unserer Gesellschaft. Über ethnische Zugehörigkeit, Geschlechter-Gerechtigkeit, Religion, diskriminierende Sprache etc. Eine junge Anarchistin, eine ehemalige CSU-Politikerin und zwei Gäste mit Migrationserfahrung, die eine konservativ, der andere nennt sich sozialliberal.

Die Vier hauen sich knapp 75 Minuten lang Argumente und Schlagworte – ähnlich wie in Talkshows – um die Ohren, bei Rassismus und Geschlechter-Diversität kennt der eine oder die andere kein Pardon. Zu dieser mehr oder weniger tiefgründigen „Versammlung“ eingeladen haben die Moderatorinnen Annette Paulmann und Wiebke Puls, die locker, flockig, aber auch resolut durch die „Versammlung“ führen – bis sie plötzlich die Bühne räumen und das Publikum bitten, sich ebenfalls über diese Themen auseinanderzusetzen.

Nach minutenlangem Zögern nehmen vier Frauen Platz, reden engagiert über Klimawandel, Rassismus und eingeschränkte Bürgerrechte während des Corona-Lockdwons. Überwiegend einer Meinung ist sich das reale Zuschauer-Quartett, ein echtes Streitgespräch kommt nicht zustande.

Die Moderatorinnen und vier Darsteller der „Versammlung“ gehören zu den Münchner Kammerspielen. Mit diesem wirklichkeitsnahen Schauspiel mit Zuschauerbeteiligung setzen sie den Schlusspunkt des Festivals „Theater der Welt“, das 18 Tage lang im Düsseldorfer Schauspielhaus gastierte – mit Stücken aus fünf Kontinenten. Das Format und Original von „The Assembly“ stammt vom frankokanadischen Theaterkollektiv „Porte Parole“ (Sprachrohr): Sie führen seit 2017 Menschen mit kontroversen Haltungen zum Gespräch zusammen. Die Protokolle dieser Runden verarbeiten die Künstler zu neuen Stücken, die aufgeführt werden. Ziel ist, die Spannungen innerhalb einer Gesellschaft anhand von derzeit brisanten Themen aufzuzeigen.

Islam, Verschleierung von Frauen in westlichen Ländern, Zuwanderung, diverse Probleme mit Migrations-Geschichten, Gleichstellung von Frauen, politische (Über-?)Korrektheit etc.: Die Streitpunkte in Europa unterscheiden sich nur geringfügig von denen in Kanada. Zu diesem Fazit kommt man beim Betrachten der gestreamten „Assembly“ aus Montréal/Quebec, die vorher digital zu sehen war.

Dort prallen die Gegensätze zwischen denjenigen, die Angst vor einer „Über-Islamisierung“ haben, und Menschenrechts-Aktivisten wesentlich heftiger und geräuschvoller aufeinander als in der Münchner Fassung. So gab es in Düsseldorf keinen echten Streit über das eingespielte Interview mit einem 75-jährigen Bayern (Josef Steiner): Er pflegt Ressentiments gegen Flüchtlinge und macht spitze Bemerkungen über die Friday-for-Future-Bewegung. Zögerlicher werden die vier Darsteller jedoch, als der interviewte Steiner muslimische Zuwanderung ablehnt, weil damit der schon vorhandene Antisemitismus neuen Rückenwind bekäme.

Wenn auch keine neuen Erkenntnisse mit diesem Format gewonnen werden, so belebt es am Ende doch die Debatte, ermutigt zu einer Streitkultur und einem Mehr an Dokumentar-Theater. Und belegt anschaulich, dass politisches Mainstream-Denken, selbst bei drängenden Umweltfragen, schnell an seine Grenzen stoßen kann.

Jedenfalls war die „Versammlung“ das gelungene Finale eines verschobenen Festivals, das 2020 Corona zum Opfer fiel und erst zwei Wochen vor Beginn mit dem Kartenverkauf beginnen konnte. Wenn auch von den 350 Beteiligten aus aller Herren Länder einige nur digital, per Livestream, präsent waren und, wegen Hygieneregeln, nur die Hälfte der Karten verkauft werden konnten, so können Festivalleiter Stefan Schmidtke und Intendant Wilfried Schulz mehr als zufrieden sein. Denn große Fragen unserer Zeit wurden zwar nicht gelöst, jedoch in einem sensiblen Ton angesprochen und mit Mitteln – manchmal auch direkter, drastischer Theatersprache – vor Aug‘ und Ohren geführt. Letztlich war es ein Wunder, dass dieses Welt-Theater-Fest mit so vielen Zuschauern überhaupt über die Bühnen gehen konnte.

Nächster Termin: Sommer 2023 in Frankfurt am Main und Offenbach.