Vor der Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus Irmgard Keun kommt auf die Bühne
Düsseldorf · Das Düsseldorfer Schauspielhaus bringt mit „Das kunstseidenen Mädchen“ ein Hauptwerk der faszinierenden Autorin auf die Bühne.
Gleich fünf Leben sollen von ihr auf die Bühne kommen. Das ist eine Menge. Doch für die Kölner Schriftstellerin Irmgard Keun (1905–1982) und ihre so bewegte und euphorische, bedrohte wie verzweifelte Existenz scheint das fast nicht auszureichen. Die Lebensgeschichte einer Frau im 20. Jahrhundert als großes Drama – genau dies hat das wohl erfolgreichste Dramatikerpaar hierzulande erkannt: Lutz Hübner und Sarah Nemitz haben aus dem Leben der Irmgard Keun ein Theaterstück geformt, das am Wochenende im Schauspielhaus seine Uraufführung feiern wird.
Fünf Leben hört sich zudem beinahe märchenhaft an. Doch die meisten Leben habe sich Irmgard Keun nicht selbst ausgesucht, so Nemitz und Hübner. Für die Schriftstellerin war es durch die Umbrüche und die Gewalt des 20. Jahrhunderts geprägt: „Es ist vor allem das Leben einer Frau, die es geschafft hat, immer wieder zu überleben und einen eigenen Weg zu finden. Ihr Drama ist, dass diese Erfahrungen in der zweiten Hälfte ihres Lebens nicht mehr zu Literatur wurden – was wären ihre Geschichten über die 60er oder 70er gewesen?“
Was wäre, wenn – an so vielen Gabelungen ihres Lebensweges scheint sich genau diese Frage immer wieder gestellt zu haben. Und dabei hat so vieles im Leben der Irmgard Keun scheinbar gradlinig und gut bürgerlich begonnen, wie man so sagt: Keun lernt Stenografie und Schreibmaschine, arbeitet brav im väterlichen Betrieb. Doch das ist es nicht, was sie vom Leben will und was das Leben ihr bieten könnte.
Also besucht sie 1925 die Kölner Schauspielschule; Engagements am Hamburger Thalia Theater und in Greifswald folgen. Bis sie zu schreiben beginnt und auf Anhieb Riesenerfolge feiert: „Gilgi, eine von uns“ erscheint im Oktober 1931 und schon im Frühjahr 1932 „Das kunstseidene Mädchen“. Es sind die Geschichten junger, sogenannter neuer Frauen, die in der Großstadt um den gesellschaftlichen Aufstieg ringen und den Absturz fürchten. „Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris. Und die Leute achten mich hoch, weil ich ein Glanz bin“, ist einer der berühmten Sätze aus ihrem zweiten Roman.
Klug und witzig sind ihre Heldinnen, sie sind schlagfertig, können schwadronieren. Und die Sprache dieser Zeitromane ist unerhört, schnell, echt und ehrlich und gewürzt mit der Brutalität einer schonungslosen Beobachterin. Autobiografisch sind ihre Bücher streng genommen nicht. Dennoch habe Keun, wie es ihre Biografin Hiltrud Häntzschel einmal fein notiert hat, bei der Zeichnung ihrer Romanheldinnen „eifrig in den Spiegel geschaut“.
Begeisterte Rezensionen ihrer ersten beiden Bücher sind die Zugabe, von Hans Fallada etwa, von Egon Erwin Kisch und Kurt Tucholsky; die „New York Times“ wird auf die junge deutsche Schriftstellerin aufmerksam, es folgt 1932 sogar die Verfilmung „Eine von uns“. Dieses Leben ist eine Autobahn, und Irmgard Keun auf der Überholspur. Bis die Nazis kommen, die ihr „schädliches“ und „unerwünschtes“ Schrifttum bescheinigen. Was ihr bleibt, ist der Weg ins Ausland, zunächst ins belgische Ostende. „Als der Zug über die Grenze gefahren war, da lag hinter mir ein Land und vor mir die Welt“, schreibt sie im Mai 1936. Es klingt fast euphorisch.
Wie exakt und scharfsinnig ihr Blick auf Deutschland in der ersten Exilzeit noch ist, zeigt ihr Roman „Nach Mitternacht“ von 1937: „Und langsam fuhr ein Auto vorbei, darin stand der Führer wie der Prinz Karneval im Karnevalszug. Aber er war nicht so lustig und fröhlich wie der Prinz Karneval und warf auch keine Bonbons und Sträußchen, sondern hob nur eine leere Hand“, beobachtet ihre Romanheldin Sanna einen Auftritt Adolf Hitlers.
Die Nachkriegszeit ist
purer Überlebenskampf
Das Exil aber gerät ihr zum Strudel. Ihre Bekanntschaft mit Joseph Roth zieht sie immer tiefer in die Alkoholabhängigkeit hinein, die sie die meiste Zeit ihres Lebens nicht mehr verlassen wird. Sie fährt für einige Wochen nach Amerika, lebt in Paris, taucht unter, als die deutsche Wehrmacht dort einmarschiert. Dann erscheint im „Daily Telegraph“ im August 1940 die Nachricht von ihrem angeblichen Selbstmord, eine Falschmeldung, die sie möglicherweise selbst ins Spiel brachte. Denn nur wenig später kehrt sie zurück nach Deutschland, ins Elternhaus nach Köln.
Die Nachkriegszeit ist purer Überlebenskampf. In den Trümmern des Hauses findet man sie in einem verwahrlosten Zustand, ihre Sucht macht längere Aufenthalte in diversen Landeskliniken nötig. Die späte Wiederentdeckung dann Ende der 70er-Jahre. Die Stadt Köln feiert ihren 70. Geburtstag, der eigentlich schon ihr 75. ist, doch mit der Wahrheit gerade zu ihren eigenen Lebensdaten hat es Irmgard Keun nie sonderlich korrekt gehalten. Die spätere Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hält jedenfalls die Geburtstagsrede und sagt, dass „kein Mann in der Sprache geschrieben hätte, die die Keun für sich ausgewählt hat“. Wenige Monate vor ihrem Tod 1982 wird ihr der Marieluise-Fleißer-Preis verliehen – ihre einzige literarische Ehrung. Und seit 1991 ziert sogar eine Steinfigur von ihr die Südseite des Kölner Ratsturmes. Ein Jahr später kommt eine von Heinrich Böll dazu.
Was von all dem auf der Bühne zu sehen sein wird? Lutz Hübner und Sarah Nemitz verlagern das Geschehen ins Jahr 1977 und in ein Fernsehstudio des WDR. Dort soll eine Doku über Irmgard Keun entstehen, bis diese dann selbst auf dem Set erscheint. Natürlich wird es dann auch historisch zugehen. Doch wie bei allen großen Autorinnen und Autoren wird auch diese Rückschau in die Gegenwart strahlen. Irmgard Keun ist aktuell. Für Hübner und Nemitz zeigt sich das im unverwechselbaren Stil, der nach ihren Worten an die ersten Romane der Popliteratur erinnert, im „weiblichen Empowerment“, der Schilderung des Alltags in Diktaturen, schließlich in der Emigration und den Nachkriegsmentalitäten. Das seien Themen, „die gerade mit Wucht wiederkommen und so schnell auch nicht wieder verschwinden werden“.
Und unterm Strich? Wie würde Irmgard Keuns eigene Bilanz aussehen? War es nun ein erfülltes, gar geglücktes oder wenigstens reiches Leben? Lutz Hübner und Sarah Nemitz finden darauf diese Antwort: „Wenn man Glück als die Fähigkeit definiert, sich auch unter widrigsten Umständen zu behaupten und seine Würde zu bewahren, müssen wir uns Irmgard Keun als glücklichen Menschen vorstellen.“