Arbeitswelt in Düsseldorf Firmen nutzen neuen Takt für die Arbeit

Düsseldorf · Von verbotenen Überstunden, Chefs in Teilzeit und Angestellten, die ihr Pensum reduzieren. Beispiele für einen neuen Takt der Arbeit.

Lisa Feeser von der Tertia-Berufsförderung hat sich gegen eine Führungsposition und für die Vier-Tage-Woche entschieden.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Zu viel war es Frieda Feld schon länger. Ausgerechnet mitten im Urlaub merkte sie vor ein paar Jahren: „So geht es nicht weiter. Ich bin völlig überarbeitet und stehe kurz vor dem Burnout.“ Aus zwei Wochen Urlaub machte die heute 42-Jährige in Absprache mit ihrem Arbeitgeber Sipgate vier, um sich etwas überlegen zu können. Danach stand sie schließlich vor ihrem Chef und bat vorerst um eine halbe Stelle. Da so eine starke Arbeitszeitreduzierung bei Sipgate aufgrund der sehr hierarchielosen Arbeit in Teams nicht so gerne gesehen wird, einigten sich die beiden schriftlich auf ein Modell, nach dem Frieda Feld nach und nach von vier Stunden auf fünf und schließlich auf sechs Stunden pro Tag erhöht. Mit dieser Arbeitszeit lebt sie nun schon länger und sagt: „Das passt super. Ich habe am Ende des Arbeitstages noch Energie übrig.“ Vorher sei das nicht der Fall gewesen, sie habe für viele Dinge einfach nicht mehr genug Kraft gehabt.

Stempeluhr soll bei
der Selbstkontrolle helfen

Das erklärt Feld mit der Art ihrer Arbeit. Als so genannter Agile Coach ist sie dafür da, mit ihren unterschiedlichen Teams stetig gemeinsam zu erarbeiten, wie die Arbeitsprozesse verbessert werden können. „Das ist einfach sehr intensiv und anstrengend. Acht Stunden waren da für mich zu viel.“ Mit ihrem Job davor bei einem großen Unternehmen in Düsseldorf sei das nicht vergleichbar.

Feld ist überzeugt: „Wenn ich erholt und entspannt meine Arbeit mache, ist das auch besser für das Unternehmen und meine Arbeitsergebnisse.“ Zumal sie bei Konflikten im Team gefragt sei, und die ließen sich nun mal besser lösen, wenn sie nicht ebenfals gestresst sei. Dieses Denken passt zum Ansatz von Sipgate im Umgang mit Arbeitszeit. Denn bei den Experten für Internettelefonie mit Sitz in Unterbilk sind Überstunden quasi verboten. Nachgehalten wird das sogar über eine Stempeluhr. Wer trotzdem längere Zeit über den vorgegebenen 40 Stunden pro Woche liegt, bekommt eine E-Mail von der Personalabteilung, mit der Bitte um schnelles Abbauen der Überstunden. „Wenn das nicht klappt, wird grundsätzliche Hilfe angeboten, um die Arbeit besser zu organisieren“, sagt Steffen Penzel, der für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Natürlich sei es bei manchen Projekten notwendig, mehr zu arbeiten. Danach werde aber konsequent runtergeschraubt. „Die Stempeluhr wirkt zwar wie ein Anachronismus, sie hilft letztlich aber bei der Selbstkontrolle.“

Dahinter steht der Gedanke, dass mehr Arbeit nicht zu besseren Ergebnissen führt. „Wir glauben nicht, dass wir dadurch wirklich produktiver würden. Es geht bei uns ja viel um Kreativität und Entwicklung, um Kommunikation. Dafür ist die Zufriedenheit im Job sehr wichtig.“ Ähnliche Erfahrungen hat erst kürzlich ein ganzes Land gemacht. Nach einem großangelegten Test der Vier-Tage-Woche bei gleicher Bezahlung in Island, sind nun reduzierte Arbeitszeiten für den Großteil aller Erwerbstätigen umgesetzt worden. Das Ergebnis der Studie war unter anderem, dass die Produktivität nicht gelitten hat.

Der Trend zu weniger Arbeit hat viele Facetten und Gründe. Und er hat sogar etwas konservativer aufgestellte Unternehmen wie ein Bankhaus erreicht. Die Stadtsparkasse ermöglicht seit kurzer Zeit auf unteren Führungsebenen für Gruppen- oder Bereichsleiter so genannte Tandemmodelle. Das heißt: Zwei Mitarbeitende teilen sich den Chefposten. Auf einer digitalen Plattform können sich Interessierte registrieren und dann kennenlernen. Die Bewerbung auf eine Stelle, die für das Tandemmodell geöffnet ist, muss gemeinsam erfolgen. „Die ersten Mitarbeiter haben sich eingetragen“, sagt Stadtsparkassen-Sprecher Fabian Haag. Er spricht bei dem neuen Modell von einem „Alleinstellungsmerkmal“ bei Bankhäusern. Als Grund für die Einführung nennt er auf der einen Seite den Fachkräftemangel, auf der anderen Seite aber auch den Wunsch vor allem der jüngeren Generation danach, Familie und Freizeit besser mit der Arbeit verbinden zu können. „Wir hoffen, jetzt Mitarbeiter für eine Führungsposition gewinnen zu können, die sich sonst nicht beworben hätten“, sagt Haag.

Ein Beispiel dafür ist Alexandra Zwanzger, für Risikocontrolling und Kalkulation bei der Stadtsparkasse Düsseldorf zuständig. Sie war früher bereits Gruppenleiterin, bekam dann Zwillinge und reduzierte ihre Arbeitszeit. Sie sagt: „Für mich ist das Modell sehr attraktiv, weil ich so in Teilzeit wieder in einer Führungsposition arbeiten könnte.“ Auf der Plattform ist sie schon registriert, jetzt läuft die Suche nach einem Partner und einer passenden Stelle.

Die Villa und das dicke Auto
sind nicht mehr das Ziel

Was sich da zunehmend bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern ändert, beobachtet Karla Klose von der Tertia Berufsförderung GmbH & Co. KG in Düsseldorf aus nächster Nähe. Nicht nur sieht sie bei Kollegen, dass sie beruflich kürzer treten, sondern berät zu dem Trend auch in ihren Coachings. In Düsseldorf arbeitet die Tertia im Auftrag der Agentur für Arbeit und des Jobcenters, qualifiziert, berät und vermittelt Arbeitnehmer. „Man arbeitet, um zu leben“, fasst Klose das neue Motto zusammen. Sie bemerkt einen Kulturwandel: „In den 80er Jahren wollten viele Chef werden, heute ist das anders.“ Auch die Villa oder das dicke Auto sei lange nicht mehr so wichtig. Verzicht auf Karriere oder auch Gehalt gehe mit dem Wunsch nach sinnvoller Tätigkeit und mehr Freizeit einher, vor allem bei der jungen Generation. Das so genannte „Downshifting“, also runterfahren, weniger arbeiten, mehr Zeit für anderes haben, sei aber zudem oft Folge einer Midlife-Crisis, auch von Burnout-Erfahrungen in Folge einer Karriere.

„Den jungen Nachwuchskräften fehlt dagegen oft die Motivation, es überhaupt mal besser als die Eltern haben zu wollen, da sie bereits in so einem immensen Wohlstand aufgewachsen sind.“ Klose beobachtet sogar „eine Schieflage“, da zwar viele Rechte eingefordert würden, aber die Bereitschaft, Verantwortung und Pflichten zu übernehmen, dagegen stark nachlasse.

Aus welchen Gründen auch immer der Wunsch nach weniger Arbeit formuliert wird, den Unternehmen bleibt aus Sicht von Klose gar nichts anderes übrig, als sich anzupassen. „Sie bekommen sonst nicht die Mitarbeiter, die sie benötigen.“

Selbst wenn die neue Flexibilität ein wenig aus der Not geboren wurde, hält Klose sie grundsätzlich für richtig. So sei die Arbeit des Einzelnen mit einem ungeheuren Produktivitätsschub einhergegangen. „Diese Entwicklung ist aber in den Arbeitsverträgen nicht abgebildet.“ Arbeitsprozesse haben sich aus Sicht von Klose deutlich beschleunigt, sind intensiver und viel anstrengender geworden. „Arbeit macht dadurch häufiger krank.“ Nun zeige sich wohl nicht zuletzt deshalb eine Gegenbewegung, die letztlich im Sinne der Unternehmen sei.

Im eigenen Unternehmen ist die übrigens auch mal mit neuen Schwierigkeiten verbunden. Wer zur Niederlassungsleiterin bei der Tertia Berufsförderung aufgebaut werden soll, will das vielleicht gar nicht. So wie Lisa Feeser. Die 31-Jährige ist heute Stellvertreterin und bringt aus Sicht von Klose eigentlich alle Voraussetzungen für die Position als Chefin mit, sie hat sich aber bewusst dagegen entschieden. „Ich hätte meine Vier-Tage-Woche aufgeben müssen. Das wollte ich aber nicht.“

Der Freitag ist bei ihr nämlich für ein Projekt der Solidarischen Landwirtschaft reserviert. „Mir ist der Gedanke der regionalen Versorgung sehr wichtig, aber auch die Work-Life-Balance.“ Die körperliche Arbeit auf dem Acker tue ihr nach vielen Tagen im Büro einfach immer wieder sehr gut.

Feeser hat früher sogar fünf Tage pro Woche gearbeitet. Dann aber reduziert. Downshifting im Alter von noch nicht einmal 30 Jahren. „Ich habe ein Jahr mit mir gekämpft. Ich hatte Sorge vor negativen Reaktionen, auch um die finanziellen Konsequenzen musste ich mir Gedanken machen.“

Sie empfiehlt zudem, den Vorgesetzten nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen, sondern erstmal den Vorschlag zu machen und das Modell gemeinsam zu entwickeln. Lisa Feeser traf letztlich auf viel Verständnis, was natürlich abhängig vom jeweiligen Chef ist. Das persönliche Fazit ist eindeutig. „Ich habe die Entscheidung nie bereut. Ich habe mehr Energie bei der Arbeit und bin effizienter. Und die zusätzliche Zeit ist mir mehr wert als das
Geld.“