Oper am Rhein „Ich bin keine Drillmeisterin“
Düsseldorf · Natasha Lagunas gestaltet die Morgenroutine für die Ballettkompanie der Rheinoper – deren Stärken und Schwächen kennt sie genau.
Was die Co-Trainer im Fußball sind, das ist Natasha Lagunas an der Ballettstange. Sie steht nicht im Rampenlicht, und doch legt ihre Arbeit das Fundament für die Spielzeit: Fitness, Technik, Kraft, Dehnbarkeit, Schnelligkeit, mentale Stärke. Täglich kommt die Kompanie am Rhein mit ihr zur Morgenroutine zusammen, ein Pflichtprogramm. „Für unsere Tänzerinnen und Tänzer ist das der Start in den Tag. Danach sollen sie bereit sein für die Proben und die Vorstellungen“, sagt Lagunas. Seit 2021 ist sie Ballettmeisterin an der Deutschen Oper am Rhein. Ballettchef Demis Volpi holte sie von Mexiko nach Düsseldorf.
Eine Ballettmeisterin, drei Ballettmeister – Brent Parolin und Uwe Schröter plus Leiter Damiano Pettenella – hat die Düsseldorfer Kompanie. Sie halten die Kompanie in Form, fördern ihre Entwicklung, trainieren die Tänzer, assistieren bei Choreografien und Proben. Lagunas hat zum Beispiel die Frauen im „Krabat“ auf ihre Rolle vorbereitet. Sie muss die Balance halten zwischen Vertrauen und Verantwortung: „Tänzer vertrauen ihren Ballettmeistern, und die Ballettmeister übernehmen die Verantwortung für die Gruppe. Ich bin weder Lehrerin noch Drillmeisterin“, sagt die ehemalige Tänzerin. Es sei anders, als kleine Kinder zu unterrichten, denen man Schritte beibringe: „Ich trainiere Kollegen.“ 13 Jahre war sie Halbsolistin in der Compañia Nacional de Danza in Mexiko-City. Von 1996 bis 2020 arbeitete sie dort als Ballettmeisterin.
Wichtig sind tänzerische Technik und physiologisches Know-how
Tänzerische Technik, physiologisches Know-how und psychologisches Einfühlungsvermögen braucht es für die Aufgabe: „Die Tänzer brauchen starke Körper und starke Köpfe. Manchmal ist es Spaß, aber manchmal auch hart. Wir trainieren sechs Tage die Woche inklusive den Samstagen.“
Natürlich gebe es manchmal Frust und schlechte Tage: „Ich kenne die Stärken und Schwächen eines jeden. Manchmal fühlen sie sich nicht gut. Sie sind müde oder spüren, dass eine Verletzung beginnt. Manchmal sind sie auch zu müde, um über eine Verletzung hinwegzugehen.“ Dabei haben Tänzer ein gutes Körpergefühl. Sie wissen, wie weit sie sich strapazieren können, sagt Lagunas.
Mit Anfang 30 beendete Lagunas, die in Havanna und an der Ballettschule des Bolschoi-Theaters in Moskau studierte hatte, ihre Profikarriere: „Ich begann, Kollegen zu trainieren, und es fühlte sich leicht für mich an.“
Wenn neue Choreografien einstudiert werden, braucht sie eine gute Beobachtungsgabe. Lagunas muss den Tanz verstanden haben, bevor die Proben beginnen. Sie hilft Gastchoreografen beim Casting, weil sie die Kompanie gut kennt, und ist verantwortlich, wenn ein internationaler Gastchoreograf geht und die Proben weiterlaufen: „Ich bin wie ein Spiegel.“
Seit mehr als 40 Jahren sind Ballettsaal und Bühne Lagunas Welt. Im Alter von zwölf erhielt sie ein Stipendium in Kuba. An vielen Orten der Welt hat sie Ballett trainiert und sich keinem Lehransatz verpflichtet: „Es gibt russische, französische, englische und italienische Ansätze, und es gibt immer neue Techniken. Es verändert sich ständig.“ Alle großen Schulen seien streng. Die Frage sei, wie man fordere und die Entwicklung fördere: „Es darf nicht auf Kosten des Selbstwertgefühls gehen.“
Sie sieht allerdings eine Entwicklung kritisch: „Das Tanzen wird immer schneller und herausfordernder.“ Technik sei immer ein großes Thema im Ballett. Bei Wettbewerben motiviere man die Teilnehmer zu immer größeren Leistungen: „Es wird immer mehr zum Sport, es sollte aber Kunst bleiben. Was ist denn der Wert von Ballett? Es bedeutet, mit dem Publikum zu kommunizieren.“
Ballett bedeutet mit dem Publikum zu kommunizieren
Nach 25 Jahren in Mexiko-City holte Demis Volpi Lagunas an den Rhein – wegen der Pandemie mit einer kleinen Verspätung: „Ich bin 2021 nach Düsseldorf gekommen. Die Stadt hat mich willkommen geheißen. Sie hat eine gute Atmosphäre, schöne Orte, einen leichten Lebensstil. Wenn ich aus Berlin oder Amsterdam zurückkomme, fühlt sich Düsseldorf wie zu Hause an.“ Ohne Corona wäre es für die geborene Mexikanerin ein Leichtes gewesen, sich im Ballettprobenraum an der Merowinger Straße und in der Oper an der Heinrich-Heine-Allee einzuarbeiten: „Unsere Sprache ist universell. Wir im Ballett fühlen uns in vielen Dingen vereint. Überall auf der Welt. Hier bist du sicher, hier kannst du sein, ohne bewertet zu werden. Das hat mich in den schwierigsten Momenten meines Lebens gerettet.“