Lesung im Heine Haus Vom Glanz und Elend des Urgroßonkels

Düsseldorf · Shelly Kupferberg las aus ihrem Debütroman über das Leben ihres Urgroßonkels.

Shelly Kupferberg – hier im Jahr 2022 – rekonstruierte die bewegende Lebensgeschichte ihres Verwandten.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Wohl kaum jemand käme auf die Idee, ein Buch unter Belletristik einzuordnen, dessen Protagonist in den Folterkellern des Faschismus zu Tode kommt. Aber so schillernd und bunt, wie dieser Buch-Held vorher gelebt hat, klingt es schon nach „bella vita“, nach schöner Fiktion.

Der Debütroman der Berliner Journalistin Shelly Kupferberg ist so ein Buch. Die Autorin behandelt darin das Schicksal ihres Urgroßonkels, der im Wien der 1920er- und 1930er-Jahre ein bekannter juristischer und ökonomischer Berater war. Er wohnte als millionenschwerer Parvenü in hochherrschaftlichen Wohnungen, sammelte Kunst und war begeistert vom kulturellen Leben der K. u. K.-Metropole.

Das Buch trägt den Titel „Isidor. Ein jüdisches Leben“. Als Israel Geller 1886 in Ostgalizien geboren, machte sich der Sohn eines Talmud-Gelehrten im Alter von 20 Jahren zusammen mit seinen Brüdern Rubin und Nathan auf den Weg, um der Armut zu entkommen. Während der Reise beschloss er, seinen sehr jüdischen Vornamen in einen karrierefördernden christlichen umzuändern. Als Isidor bekam er prompt eine Stelle in einer Wiener Lederfabrik, arbeitete sich dort zum leitenden Direktor hoch und wurde Kommerzienrat.

Bei ihrer Lesung im Heine-Haus erzählt Shelly Kupferberg, wie sie dem schillernden Leben Isidor Gellers in privaten und öffentlichen Wiener Archiven nachgespürt hat. Aber auch in Tel Aviv, wo sie Briefe ihrer Großeltern in deren Wohnung fand. Aus dem eigentlich geplanten Radio-Feature schälte sich dann bald die Idee für ein Buch heraus. Dabei füllte die Journalistin Lücken auf, indem sie das gesellschaftliche Leben Isidors im Wien der 1930er-Jahre imaginierte: „Der kinderlose Kommerzialrat war ein verschwenderischer Gastgeber, er liebte den Luxus und wusste, was er wollte.“ Besonders die Opernszene hatte es ihm angetan. Eine seiner Geliebten war die ungarische Sängerin Ilona Hajmássy, die später auch in Hollywood Erfolge feierte. Was seine jüdische Herkunft und den wachsenden Antisemitismus betraf, gab Isidor sich ausgesprochen pragmatisch. Isidor starb 1938, nachdem er von neidischen Angestellten denunziert worden war und drei Monate lang in Nazi-Bunkern einsaß.

Ob die über Jahre andauernde Recherche zu diesem faszinierenden Mitglied ihrer Familie auch eine Art Trauerarbeit gewesen sei, wollte eine Zuhörerin im gut besuchten Heine Haus wissen. „Im Gegenteil“, sagte Kupferberg. Es sei ein regelrechtes Glück gewesen, diesen Reichtum an erlebter Zeitgeschichte mit ihrem eigenen Leben verbunden zu wissen.