Besuch: Von Afrikas Ghetto in die „Big City“ Düsseldorf
Samuel Kapepo lebt in Namibia im Township, kocht dort für arme Kinder. Jetzt besuchte er Düsseldorf — und lernte viel über hohe Türme und große Hilfsbereitschaft.
Düsseldorf. Wie eingefroren steht Samuel Kapepo an der Wand und starrt zum Fenster. „Gosh!“, murmelt er immer wieder leise. 168 Meter trennen den 28 Jahre alten Namibier auf dem Rheinturm vom Erdboden. Mehr als er ertragen kann. In seiner Heimat Katutura, dem staubigen Ghetto der namibischen Hauptstadt Windhoek, gibt es nur kleine Wellblechhütten. Ebenerdig, versteht sich. Die letzten Nächte hier in Düsseldorf konnte er schon kaum schlafen, weil er in einer Mansarde unterm Dach schläft und ständig an all die Stufen unter sich denken musste. Und jetzt Rheinturm. Man hat es schwer als Tourist.
2010 schrieb die WZ auf einer ganzen Seite über Samuel Kapepo aus Namibia. Über sein Projekt: Eine Suppenküche im Township, in der zweimal pro Woche bis zu 200 arme Kinder, darunter viele Aids-Waisen, bekocht werden. Nach der Veröffentlichung rollte eine Welle der Hilfsbereitschaft an, Kapepos Soupkitchen erhielt zahlreiche Spenden. Jetzt ist er selbst nach Düsseldorf gekommen, um seine Unterstützer kennen zu lernen und sich auszutauschen.
Aber erst einmal geht er verloren. Er hat gerade zwei Wochen in einer Kleinstadt im Harz mit unter 10 000 Einwohnern verbracht. Als er mit dem ICE in der NRW-Landeshauptstadt einfährt, steigt er am ersten Halt aus, der Düsseldorf heißt. Das ist nur leider nicht der Hauptbahnhof, sondern der Flughafen. Aber zwanzig Minuten und fünf verzweifelte Telefonate später ist er da, erschlagen von den Menschenmassen in der Bahnhofspassage — und völlig konsterniert durch all die schwarzen Gesichter, die er dort sieht.
Auf dem Weg zu seiner Unterkunft bei Freunden sagt er dreimal: „Wow, it is a big city!“ (Es ist eine große Stadt!). Ungezählt ist, wie oft er diesen Satz in den folgenden Tagen wiederholt. In seinem Heimatland, das zwar mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland, aber nur gut zwei Millionen Einwohner hat, herrschen andere Dimensionen.
Aber schließlich ist Verschiedenheit die beste Voraussetzung für spannende Begegnungen. Die haben Schüler des Cecilien-Gymnasiums mit Samuel Kapepo. Lehrerin Zoé Karastogianni hat den Gast aus Afrika eingeladen. Dem Sowi-Kurs in Klasse zehn zeigt der 28-Jährige Bilder von seinem Projekt. Mucksmäuschenstill ist es, während auf dem Computerbildschirm dürre Kinder in zerrissenen Kleidern zu sehen sind, die im Staub sitzen und aus bunten Plastikschalen Maisbrei mit der Hand essen. „Mir wird gerade bewusst, dass hier zwei komplett verschiedene Welten aufeinanderprallen“, sagt Schüler Leon (16).
Ein bisschen weniger ernst geht es mit zwei fünften Klassen zu, denen Kapepo in der Turnhalle das namibische Kwaito-Tanzen beibringt. Aber einen Sinn für andere Dimensionen haben auch die Jüngeren: Taschengeld und alte Spielzeuge haben sie in Massen mitgebracht, um sie Kapepo für die Kinder in der Suppenküche mitzugeben. Gerührt nimmt er Tüte um Tüte entgegen.
Auch der Junge aus der Wellblechhütte lernt viel Neues. Nicht nur, dass Düsseldorf „a big city“ ist, man sehr hohe Türme bauen kann und Bahnen hier auch unter der Erde fahren — der Trip von der Heine-Allee zur Steinstraße ist für ihn ein Abenteuer wie für Deutsche die Löwen-Safari im namibischen Nationalpark Etosha. Als Lehrerin Karastogianni ihm erzählt, dass das „Ceci“ das Kinderhospiz Regenbogenland unterstützt, schaut Kapepo verwirrt drein und fragt, was ein Hospiz ist. Am Ende ist er noch verwirrter: „Heißt das, auch in Deutschland müssen Kinder sterben?!“ Er kann es nicht fassen. Im afrikanischen Fernsehen sieht man von Deutschland nur BMW und Oktoberfest. Niemals Leid.
Kurzerhand lädt ihn die Hospizleiterin Melanie van Dijk zum Besuch in Gerresheim ein. Sie erklärt dem Namibier, dass sie in neun Jahren „Rainbowland“ 75 Kinder verloren haben. Kapepo steht vor der Fotowand mit ihren Bildern — lange und still. Das muss er sofort seinen Freunden in Afrika berichten.
Es gibt aber auch Einladungen, die mehr Spaß bringen. So wie die von Uerige-Baas Michael Schnitzler zur exklusiven Brauereiführung. Zwei Millionen Liter pro Jahr werden an der Bergerstraße gebraut, erklärt Braumeister André Meurer in fließendem Englisch — Brauhäuser sind heutzutage sehr international —, und gerade erst wurde die Brauerei 150 Jahre alt. Vor 150 Jahren hatte in Namibia noch nicht einmal die deutsche Kolonialherrschaft begonnen. „Also trinken die Menschen hier sehr gut?“, fragt Kapepo und meint das als Lob. Auch ihm schmeckt „Oldbeer“ fabelhaft.
An Kapepos letztem Abend kommen seine zwei Freunde Tommy und Phillemon nach Düsseldorf, die bei weiteren Suppenküche-Unterstützern in Tübingen waren. Sie finden immerhin den Hauptbahnhof und genießen dann die Altstadt bei Nacht — „Wow, it is a big city, right?“.
Am nächsten Morgen ist das Trio zu Gast beim Biker-Gottesdienst der evangelischen Pfarrer Olaf Schaper und Martin Pilz in Eller. Harleys und Rock und warme Worte. Olaf Schaper stellt Kapepos Projekt vor. Spontan sammeln die Biker über 450 Euro für die Soupkitchen. In Namibia wird Düsseldorf wohl nie als Schickeria-Metropole gelten, sondern als Stadt, die gerne hilft. Und übrigens auch als eine sehr große.