Weihnachten Das Badewannen-Massaker

Heiligabend verlief bei uns nach einem relativ festen Schema: Nachmittags wurden meine Schwester und ich auf unsere Zimmer im Obergeschoss verbannt, während mein Vater den selbstgeschlagenen Baum in einen dreibeinigen Halter presste und schaute, dass die Spitze bis genau unter die holzvertäfelte Decke passte.

Der Karpfen kommt zu Weihnachten oft auf den Tisch.

Foto: dpa-tmn/Daniel Karmann

Später verteilte meine Mutter die Geschenke unterm Baum, dann durften wir irgendwann runterkommen, mussten ein oder zwei Weihnachtslieder im Wohnzimmer singen (dabei versuchte  ich immer zu gucken, ob der größte Geschenke-Haufen wieder meiner war: Ja!) – und dann wurde zu meinem Leidwesen zu Tisch gebeten, was ich als völlig überflüssige Hinauszögerung des eigentlichen Abend-Höhepunktes ansah, nämlich dem Geschenke-Auspacken. Wobei der Jüngste – also ich – als letzter drankam. War aber nie schlimm, denn der Jüngste bekam immer am meisten.

Dem Essen wurde bei uns zu Hause eher an den Tagen nach Heiligabend Aufmerksamkeit geschenkt, dann gab es immer eine ganze Gans, manchmal auch eine Pute, die mein Vater beim Preisskat gewonnen hatte. Einmal aber sollte es Karpfen am Weihnachtsabend geben. Wo mein Vater das Tier besorgt hat, weiß ich nicht mehr, doch an die Folgen dieser Entscheidung kann ich mich gut erinnern.

So ein Karpfen ist ganz schön groß, und damit er auch frisch auf den Teller kommt (vielleicht auch, um eine gewisse Muffigkeit zu verlieren), durfte er vorher noch in unserer Badewanne schwimmen. Wasser hatte er genug, er bewegte sich aber kaum und glotzte uns nur an. Wir ließen ihn allein und machten das Licht aus. Im  See ganz unten ist es auch dunkel.

Am späten Nachmittag schritt mein Vater zur Tat. Bewaffnet mit einem langen Messer, ging er ins hellblau geflieste Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Wir sollten nicht zusehen, wie unser Abendessen umgebracht wurde. Wir waren auch nicht interessiert, unten warteten die Geschenke...

Oft habe ich meinen Vater nicht fluchen gehört, als norddeutscher Dorflehrer hatte man ja eine gewisse Verpflichtung, aber an dem Tag vernahm ich plötzlich sehr deutliche und laute Schimpfwörter, um nicht zu sagen Gebrüll. Die Kinderzimmer lagen nur ein paar Meter vom Badezimmer entfernt; etwas erschrocken sahen meine Schwester und ich uns an, ehe wir die Tür öffneten. Apokalypse now: Der Fisch war aus der Wanne entkommen und glitschte panisch über den Fliesenboden, wobei er bei jeder Bewegung Blut verspritzte. An die Wände, an die Decke, überallhin. Mein Vater hatte den Karpfen nicht richtig mit dem Messer erwischt, der wollte sich nicht einfach so schlachten lassen. Und versuch mal, einen nassen Fisch festzuhalten...

Irgendwann war der Karpfen dann aber doch erledigt. Eins war seitdem klar: Heiligabend gab es nie wieder Fisch. Wir haben dann immer Fondue gemacht.