Stadt-Teilchen Der Rheinturm ist ein freundlicher Geselle

Er ist eine Kraft, zu der man aufschauen kann und die Einblicke eröffnet.

Foto: Ansgar Maria van Treeck

Düsseldorf. Er ist schlank, er ist imposant, er ist ein echtes Leitbild. Er ist groß, er überragt alle. Schon von weitem kann man ihn erblicken, und sein Anblick beruhigt ungemein. Mit ihm im Blick kann die Welt gar nicht so gefährlich sein wie sie oft tut. Mit ihm im Blick hat die Stadt eine innere Achse, einen Punkt, um den sie sich zu drehen scheint.

Eine Kolumne von Hans Hoff.

Foto: Ansgar Maria van Treeck

Natürlich rede ich vom Rheinturm, von diesem Wahrzeichen, von dieser Landmarke, die wie keine andere das Bild der Stadt prägt. Wo der Kölner den Blick auf den Dom hat, schaut der Düsseldorfer auf den Turm. Wo immer man auch in Düsseldorf ist, reicht es oft, mal ein paar Stufen zu steigen und ganz oben aus dem Fenster zu schauen. Dann sieht man ihn, den Rheinturm. Sofort weiß der Mensch, wo er sich befindet, wie weit es ist bis zum Mittelpunkt alles Urbanen. Der Rheinturm ist der Bezugspunkt schlechthin. Nicht nur für die Augen.

Dieses spargelhaft aufschießende Gebäude mit dem übergroßen Wulst oben dran steht nicht einfach nur am Rhein herum, es wohnt längst in den Köpfen der Menschen. Wenn irgendwo auf der Welt ein Mensch an die Düsseldorfer Rheinpromenade denkt, dann kommt fast immer der Rheinturm mit ins imaginierte Bild.

Aber natürlich wohnt er auch im Hafen, wo er aufragt und die Illusion vermittelt, dass oben, also dort, wo er dick wird, eine höhere Kraft wohnt, eine, die wacht über das, was in dieser Stadt so geschieht. Es ist eine Kraft, zu der man aufschauen kann und die wunderbare Einblicke in ihre Wandelbarkeit eröffnet.

Allein der Blick auf die Glasfenster lohnt, weil sich in denen spiegelt, was am Boden geschieht. Diffus und schlecht zu erkennen nur, aber da ist etwas. In seiner Verschwommenheit hat es etwas von einem Gemälde, das ein Riese dort oben aufgehängt hat. Er ist halt durch Düsseldorf gewandert und hatte ein Bild dabei. Das war ihm zu schwer, und deshalb hat er es oben am Rheinturm zurückgelassen. Ach was, er hat nicht ein Bild zurückgelassen, er hat viele Bilder montiert. Je nachdem wie man steht, ändert sich nämlich die Reflexion.

An bestimmten Orten in Unterbilk kann man am späten Nachmittag, wenn die Sonne die Straßenschluchten schon verlassen hat, in einem Fensterstreifen des Rheinturms den silbrig beschienenen Rhein glänzen sehen. Es flirrt wie Silber. Das Flirren stellt eine Verbindung her zwischen dem gleißenden Licht auf dem Wasser und dem Menschen im Dunkel der Straße. Einmal hoch und dann wieder runter reist das Licht mit Hilfe des Rheinturms. So meldet sich der Rhein beim Unterbilker und sagt beruhigend: Ich bin da.

Natürlich bietet der Rheinturm ein besonderes Erlebnis, wenn man in ihm auffährt, wenn man sich erst einschließen lässt in diese Bewusstseinskapsel namens Aufzug, und dann, wenn sich die Türen auftun, heraustritt in eine andere Welt. Auf einmal liegt dir alles zu Füßen. Das ist echte Sensation. Wenn alles auf einmal so klein ist, dann macht sich der eine oder andere schon Gedanken über seine Rolle in diesem Gefüge und stellt die Frage: Welche von diesen Ameisen bin ich?

Aber das, was oben geschieht, ist eine zu simple Besonderheit. Das können andere Städte auch. Der Rheinturm kann mehr. Er ist etwas so Besonderes, weil er so herausragend steht und so viele Perspektiven eröffnet. Man kann diesen Beton-Schlacks etwa in seiner schlanken Eleganz bewundern und ihn wie einen Bleistift betrachten, der Bilder in den Himmel malt. Manchmal scheint er die über ihm liegenden Kondensstreifen ordnen zu wollen. Dann mischt er sich ein in deren Muster und kreiert ein neues Muster. Und an einem anderen Tag wirkt es, als sei der Himmel ein großes blaues Zeltdach. Dann ist der Rheinturm genau die Stange, die das Blau stützt, die dem Zelt jene Spannung verleiht, die es braucht, um den Menschen darunter Schutz zu bieten.

Wer direkt unter dem Rheinturm in die Höhe blickt, riskiert eine Genickstarre, und wer ihn des Nachts betrachtet, läuft Gefahr, hypnotisiert zu werden von seinen Farben, von diesem diffusen Lila, das so herrlich unwirklich strahlt, wenn es rundherum richtig düster wird. Von den Geistesübungen beim Entziffern der Digitaluhr ganz zu schweigen.

An der Punkte-Uhr zeigt sich übrigens, wie weit vorne Düsseldorf bei neuen Entwicklungen mitspielt. Die Rheinturm-Uhr war schon digital, als noch keiner wusste, wofür das Wörtchen steht.

Man muss den Planern ein Lob aussprechen, die den Rheinturm genau an dieser Stelle positioniert haben, an einem Punkt, an dem viele Sichtachsen aufeinandertreffen. Man kann halt von vielen Orten in der Stadt den Turm in seiner ganzen Größe sehen und nicht nur die Spitzen. Das lässt ihn wirken, das gibt ihm etwas Erhabenes und etwas Zugewandtes zugleich. Er ist ein freundlicher Geselle, dieser Turm. Er hat nichts Bedrohliches. Nicht mal, wenn niedrig hängende Wolken seine Spitze unsichtbar machen.

Dieser Turm ist so sehr Düsseldorf wie ich es bin, und Düsseldorf ist wie der Turm und wie ich. Die Stadt reckt sich nach oben, und sie spielt da oben mit. Sie ist freundlich wie dieser Turm, sie ist elegant. Mehr Wahrzeichen geht nicht.