Die Archivare der Glashütten-Flaschen
Gaby und Peter Schulenberg hoffen, dass sich ein Museum für die 7000 alten Musterflaschen findet. Politik fordert Konzept.
Im Dezember 2014 herrschte Aufregung auf dem alten Gerresheimer Glashüttengelände an der Heyestraße. Mitglieder des Fördervereins Industriepfad und ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger drängelten sich in einen alten, punktuell beleuchteten Luftschutzkeller und beförderten 7000 leere, angestaubte Flaschen ans Tageslicht. Das historische Lager der Glashütte war entdeckt und sollte aus Angst vor Vandalismus schnellstens abtransportiert werden, denn damals hoffte der Grundstückseigentümer Patrizia noch auf einen baldigen Baubeginn. Die Flaschen wurden auf einem Bauernhof zwischengelagert. Von dort holen Gaby und Peter Schulenberg mit ihrem Kombi die Flaschen ab, um sie zu dokumentieren. Eine Sisyphusarbeit.
Der ehrenamtliche Bodenarchäologe erzählt: „Es ist ein wahnsinnig interessantes Firmenarchiv. Wir haben bisher Produktionen zwischen 1953 und 1988 gefunden. Es handelt sich ausschließlich um Musterflaschen, darunter Behälter für Cola, Puschkin-Wodka und Sinalco, Maggi und Underberg, klassische Bier- und Bügelflaschen, Labor- und Arzneimittelflaschen sowie traditionelle Einmachgläser.“
All diese gläsernen Behältnisse tragen eine Nummer, aber die dazu gehörenden Listen gibt es nicht mehr. Vermutlich wurden sie weggeschmissen. Das ist natürlich schade, denn die Glashütte war zwar zeitweilig der größte Flaschenproduzent der Welt, aber sie erfüllte auch individuelle Wünsche. Schulenberg erfuhr von ehemaligen Mitarbeitern aus dem Glasmacherviertel, wie die Firma auch speziellen Kundenwünschen nachkam. Die Gläser gingen ja nicht nur nach Deutschland, Amerika und Kanada, sondern auch nach Pakistan, Ägypten, Nigeria und ins damalige Belgisch-Kongo. „Wir reagieren mit leuchtenden Augen“, so Schulenberg.
Die freiwilligen Archivare sind Fachleute, ausgebildete Bodenarchäologen. Sie haben sich bislang eher auf Keramik konzentriert, aber der Unterschied zur Flasche sei gar nicht so groß. Schulenberg erklärt: „Ob ein Krug oder eine Flasche, in beiden Fällen haben die Gefäße einen Körper, einen Hals und einen Fuß.“
Die engagierten Gerresheimer richteten sich daher auf ihrem Hinterhof an der Dreherstraße einen kleinen Archivraum ein. Dort werden gemäß einer Spezialliste Höhe, Breite, Form, mögliche Stempel auf dem Boden und die Code-Zahl eingetragen, aus der normalerweise hervorgeht, mit welcher Maschine eine Flasche hergestellt wurde. Hilfreich ist den Ehrenamtlern das Etikett. Es beschreibt nämlich die Nutzung der Flasche und die jeweilige Firma, die den Auftrag gegeben hat.
Im April 2017 fingen die beiden an. In jedem Monat schaffen sie vier Kisten mit jeweils 50 bis 60 Flaschen. Derzeit sind sie bei der 38. Kiste. Bis zur Vollendung ihrer archäologischen Arbeit müssen sie noch weitere hundert Kisten archivieren. Von 7000 Flaschen haben sie bislang 1500 Flaschen nach allen Richtlinien der Forschung untersucht. Gaby und Peter Schulenberg rechnen damit, dass sie weitere zwei Jahre für all die Musterflaschen brauchen werden.
Im Werkstattverfahren zur Bebauung des Glashüttengeländes hatten Anlieger immer wieder den Wunsch geäußert, die Glasproduktion in einem der denkmalgeschützten, aber noch nicht sanierten Gebäude an Ort und Stelle zu bewahren. Zur Diskussion stehen Wasserturm, Kesselhaus und Kraftzentrale. Der Förderkreis Industriepfad drängt auf ein Industriemuseum. Die Idee wird auch vom Bürger- und Heimatverein Gerresheim und dem Verein Rheinische Industriekultur getragen.
Nun will sich der Kulturausschuss in der nächsten Sitzung des Flaschenlagers annehmen. Die Ampelkoalition will von der Verwaltung einen Sachstandsbericht haben. Außerdem sollen Vorschläge für ein Konzept zur Geschichte der Glasproduktion erarbeitet werden. Dazu gehören selbstverständlich auch Gespräche mit dem neuen Investor.