„Die Leute werden kränker, weil man sie früher entlässt“

Jürgen Braun, der Geschäftsführer des Verbunds Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD), spricht über die Lage an den Kliniken und christliche Leitbilder im Verbund.

Düsseldorf. Jürgen Braun, der Geschäftsführer des Verbunds Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD), spricht über die Lage an den Kliniken und christliche Leitbilder im Verbund.

Herr Braun, wem gehört eigentlich der Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf?

Braun: Wir haben eigentlich eine ganz normale GmbH-Konzernstruktur. Unsere Träger sind das Erzbistum Köln, die Stiftung Marien-Hospital, die Ordensgemeinschaft der Vinzentinerinnen, zwei Kirchengemeinden und Frau Petra Faßbender.

Der Verbund wurde 2003 gegründet mit dem Wissen, dass die Krankenhäuser alleine zukünftig in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen wären. Was haben Sie diesbezüglich erreicht?

Braun: Wir haben von Anfang an im Verbund darauf geachtet, dass man alle Dinge, die den Medizinischen Dienst und die zuarbeitenden Bereiche betreffen, gemeinsam organisiert. Zum Beispiel die Apothekenversorgung, Reinigung oder eine einheitliche Verwaltung. Und in wenigen Wochen nimmt die Sterilisationszentrale ihren Betrieb auf. So nutzen wir wirtschaftliche Synergien.

Diese Strukturänderung im Verbund ist vollzogen, was hat sie unter dem Strich gebracht?

Braun: Nehmen wir mal das Beispiel Ultraschallgerät: Wir bemühen uns, eine einheitliche Linie bei den Geräten zu fahren. So können unsere Einkäufer gleich mehrere Geräte bestellen statt einem und erhalten entsprechend Rabatt. Bei Geräteausfall ist das auch ein großer Vorteil, weil baugleiche Ersatzgeräte oder die richtigen Ersatzteile vorhanden sind. Das wäre für einzelne Krankenhäuser sehr aufwändig.

Wieviel sparen Sie dadurch ein und was passiert mit den zusätzlichen finanziellen Mitteln?

Braun: Die Einsparungen liegen im siebenstelligen Bereich. Allerdings sind beim Einkauf auch viele Möglichkeiten schon ausgereizt. Jeder Euro der verdient wird, wird wieder in Personal, Ausstattung oder Baumaßnahmen gesteckt. Denn die Gesellschafter bekommen aus einem gemeinnützigen Unternehmen keine Rendite. So dass unsere Bemühungen am Ende den Patienten zu Gute kommen.

Gibt es neben dem organisatorischen Bereich auch medizinische Kooperationen?

Braun: Das ist der nächste Schritt. Wir sind so aufgestellt, alles aus einer Hand bieten zu können. Alle wesentlichen Fachgebiete sind vorhanden. In einer Klinik, in der eine medizinische Fachdisziplin nicht verankert ist, gibt es eine entsprechende Zusammenarbeit mit einem anderen Standort. Damit das funktioniert, braucht es das Vertrauen der Patienten in die Ärzte, aber auch der Ärzte untereinander. Das muss wachsen und geht nicht von heute auf morgen.

Im VKKD gibt es auch Chefärzte die klinikübergreifend Abteilungen führen.

Braun: Es gibt mehrere Bereiche, in denen es so ist: Unsere beiden Orthopädie-Standorte am St. Vinzenz- und am Marienkrankenhaus werden von einem Chefarzt geleitet. Professor Martin arbeitet als Diabetes-Spezialist an all unseren Krankenhäusern. Zuletzt Dr. Zarras, der im St. Vinzenz und im Marienhospital die Chirurgie leitet. Auch die Kardiologie aus dem Augusta-Krankenhaus arbeitet mit den anderen Standorten eng zusammen.

Ist der VKKD der neue Krankenhausriese in Düsseldorf neben der Uni-Klinik?

Braun: Das zu werden, ist unsere klare Absicht. Zumindest was die Bettenzahl betrifft, sind wir größer als die Uni-Klinik. Vom Behandlungsspektrum her ist das natürlich nicht der Fall. Die Universitätsklinik hat schon ihren besonderen Stellenwert. Und wir arbeiten auch in vielen Bereichen gerne und intensiv mit der Universität zusammen.

Wenn der VKKD ein Mensch wäre, was für ein Typ wäre er?

Braun: Ich sehe uns als sympathischen Nachbarn, der sich kümmert. Wir bieten die Grundversorgung an und haben auch einzelne Schwerpunkte entwickelt, die an der Uni nicht unbedingt in dieser Form ausgeprägt sind. Wie zum Beispiel die Orthopädie, die eine herausragende Position in Düsseldorf hat. Im Augusta-Krankenhaus haben wir Kardiologie und Gefäßchirurgie als Gefäßzentrum in auch räumlich enger Zusammenarbeit. Das Marien-Hospital hat seinen Schwerpunkt in der Notfallversorgung und der Onkologie. Im Krankenhaus Elbroich ist es die Altersmedizin und Gerontopsychiatrie. Das ist einzigartig in Düsseldorf. Die Spezialisierung wird immer mehr zunehmen. Einige unserer Ärzte sind bereits international zum Beispiel als Operateur gefragt.

Wie lässt sich die Spezialisierung mit dem Anspruch vereinbaren, die komplette Patientenversorgung anzubieten?

Braun: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es gut, spezialisierte Leistungen zu bringen, andererseits besteht die Gefahr, dass bei den hochspezialisierten Ärzten der Blick auf den Menschen als Ganzes verloren geht. Deswegen wollen wir als Verbund auch Fachbereiche wie Diabetologie und Altersmedizin etablieren, die den Menschen insgesamt in besonderer Weise im Blick haben.

Müssen sie sich irgendwann für eines entscheiden: Gesamtversorgung oder Spezialisierung der Standorte?

Braun: Das ist eine Gratwanderung: Das Grundniveau der Breitenversorgung zu halten und daraus einzelne Spitzen zu bilden. Deswegen haben wir die drei Schwerpunkte Gefäße, Orthopädie und Onkologie gewählt und denken, dass wir damit langfristig gut fahren.

Krankenhäuser stehen aktuell unter einem hohen Kostendruck, müssen immer mehr Patienten in kürzerer Zeit durchschleusen, um wirtschaftlich zu arbeiten.

Braun: Das ist ein Grundproblem des Vergütungssystems. Wir haben eine gesetzlich verordnete Vergütungshöhe, die den gesamten Medizinbetrieb refinanzieren soll. Das ist herunter gebrochen bis auf Details in der Patientenbehandlung. Die Pauschale orientiert sich am bundesweiten Kostenschnitt der Krankenhäuser, also gilt: Wenn wir drüber sind, sind wir zu teuer. Alle versuchen unter dem Schnitt zu liegen. Die Folge ist, dass der Schnitt immer weiter sinkt und man weiter versuchen muss, drunter zu kommen. Dieses System ist endlich, irgendwann klappt das so nicht mehr.

Was heißt das für den Klinik-Alltag?

Braun: Wir schauen auf die einzelnen Abteilungen und fragen: Seit ihr nach dem Pauschal-Modell refinanziert oder machen wir da Verluste? In manchen Bereichen kommt man nicht darum herum, Verluste zu machen. Wir versuchen das dann im Ganzen auszugleichen.

Das Krankenhauspersonal klagt zunehmend über die hohe Arbeitsbelastung und die schnelle Fluktuation der Patienten. Wie geht der VKKD damit um?

Braun: Dazu ein Rechenbeispiel: Wenn man die durchschnittliche Verweildauer von 3000 bis 4000 Patienten in der Inneren Medizin von 7 auf 6,9 Tage verändert, dann kann das schon eine Vollzeitkraft im Pflegedienst finanzieren. Kleinere Stationen wie bei uns mit 25 bis 30 Patienten werden zukünftig nicht mehr refinanziert sein. Deswegen geht auch die Tendenz dahin, Großstationen zu bauen mit 40 oder mehr Patienten. Wenn man zwei bis drei Patienten mehr auf die Station legt, braucht man nicht unbedingt mehr Personal.

Die Verweildauer wird immer weiter sinken. Entlassen Ärzte Patienten bald, obwohl die noch gar nicht gesund sind?

Braun: Die Verweildauer wird irgendwann einen Tiefstwert erreichen, an dem es nicht mehr weiter geht. Erste Auswirkungen merken wir schon in unserer Reha-Klinik in Meerbusch. Die Leute die dort ankommen werden immer kranker, weil die Kliniken ihre Patienten immer schneller entlassen. Die meisten Ärzte würden sich wünschen, die Patienten länger behalten zu können. Ein Weg zur Abhilfe ist eine Pflegeüberleitung, bei der die Patienten und die Angehörigen schon im Krankenhaus auf das Leben danach vorbereitet werden. Wir bieten solche Pflegetrainings im Krankenhaus auch an.

Der Trend geht also zum Massenbetrieb im Krankenhaus, ist das auch Ihr Weg?

Braun: Nein. Wir sind nach wie vor bei dem Konzept mit den kleineren Stationen. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass unsere Patienten das besonders schätzen. Wir glauben, dass wir damit langfristig besser aufgestellt sind. Auch von unserem caritativen Selbstverständnis her. Das wollen wir uns leisten und durch unsere Synergien in der Verbundstruktur finanzieren.

Sie stellen sich also gegen den Trend zur Großstation, auch im christlichen Selbstverständnis?

Braun: Das ist eine direkte Schlussfolgerung aus unserer Identität und dem Anspruch, den Menschen als Ganzes zu sehen.

Das katholische Leitbild war zuletzt auch Thema im Verfahren gegen einen Chefarzt des St.-Vinzenz-Krankenhauses, dem wegen seiner Wiederverheiratung gekündigt wurde, und der nach dem Urteil nun aber doch bleiben darf.

Braun: Das ist ein schwieriges Thema. Wir haben unsere Prinzipien und versuchen, diese auch im laufenden Betrieb umzusetzen. Wir haben ein christliches Leitbild, das wir den Mitarbeitern vermitteln. Im Fall Adamek gibt es klare vertragliche und kirchenrechtliche Grundlagen. Wir bemühen uns aber immer, mit den Mitarbeitern einvernehmliche Lösungen zu finden.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, die Finanzierung durch Spenden zu forcieren?

Braun: Dem Thema wollen wir uns nähern. Zunächst wollen wir die vorhandenen Patienten stärker einbinden, aber auch große Werbeaktionen nicht ausschließen, in denen wir konkrete Projekte präsentieren. Helfen könnten uns dabei die traditionelle Verankerung in der Stadt und unser gemeinnütziger, kirchlicher Ansatz. Wir schaffen hier vor Ort etwas für die Menschen und jeder Euro, den wir bekommen wird auch hier investiert.