Schwierige Lage Düsseldorf Wenn Architektur Obdachlose vertreibt
Düsseldorf · Die Stadt Düsseldorf ist bekannt für ihre Messen, ihre Königsallee, ihre Stadtarchitektur. Inmitten dessen leben Wohnungslose, für die Düsseldorfs Straßen ihr Zuhause sind – doch sie fühlen sich immer mehr vertrieben.
„Platz für beste Perspektiven“ steht da auf dem Plakat an der baulichen Absperrung, die die Alte Kämmerei umzäunt. Das Gebäude mit den dunkelbraunen Kacheln ist marode, baufällig, muss saniert werden. Mit der Sanierung der Immobilie direkt neben dem Rathaus, direkt neben der Politik, soll nun also ein „Platz für beste Perspektiven“ geschaffen werden. Platz und beste Perspektiven – nur nicht für Wohnungslose. Im Gegenteil.
„Das ist die komplette Vertreibung“, schimpft Rüdiger Wasser und zeigt mit seinem Finger auf das Bild vor dem umzäunten Gebäude, das den architektonischen Zustand nach der Sanierung abbilden soll. Rüdiger selbst war wohnungslos, hat vor fünf Jahren von der Hilfsorganisation fiftyfifty eine Wohnung erhalten. Rüdigers Lebensmittelpunkt ist aber weiterhin die Straße. Hier hat er seine Freunde, hier hängen seine Erinnerungen, hier hat er gewohnt, gelebt, geliebt. Immer mehr werden er und seine Freunde aus der Stadt jedoch vertrieben – nicht nur durch aktive Angriffe und Platzverweise, auch durch defensive Architektur. „Vertreibungsmaßnahmen“, bezeichnet Rüdiger diese baulichen Änderungen in der Stadt.
An der Alten Kämmerei haben früher seine Freunde campiert. Dort, unter der Überdachung, waren sie sicher vor Wind und Regen. Mit der Sanierung wird ihnen diese Sicherheit genommen. Eine Glaswand soll den überdachten Bereich nun absperren. Das stört Rüdiger am meisten – „scheiße“ findet er das. Denn nicht nur hier, auch ein paar hundert Meter weiter an der Friedrich-Ebert-Straße fand genau das gleiche statt. Absperrende Glaswände statt sichernde Überdachung. Der Platz dort ist ein weiterer Standort, an dem einst Wohnungslose verkehrten. Er ist ein Stück Heimat, das Menschen von der Platte geraubt wurde.
Die Liste der defensiven Architektur in Düsseldorf ist lang
An dem Ort hat Rüdiger Freunde kennengelernt, hier sind Erinnerungen entstanden. Erinnerungen, die mit den Baumaßnahmen verschwimmen. „Wir sind mit diesen Orten groß geworden“, erzählt Rüdiger beim Vorbeigehen. „Es ist genauso wie mit einem Dorf, das, wenn man zurückkommt, abgerissen ist. Also, wie wenn das ganze Dorf weg ist.“
Die Liste an defensiver Architektur in Düsseldorf ist lang. Sie umfasst große sowie subtilere Maßnahmen. Zu nennen seien da zum einen die massiven Steine unter der Rheinkniebrücke, die es damals Wohnungslosen unmöglich machten, überdacht und schmerzfrei zu schlafen. Nach einer Protestaktion wurden die Felsbrocken entfernt, anstelle dessen stehen nun aber dort, direkt neben dem Fluss, störende Fahrradständer – das Schlafproblem bleibt. Fahrradständer findet man auch auf Lüftungsschächten, aus denen warme Luft strömt, die die Wohnungslosen in kalten Winternächten warmhalten. Stattdessen frieren sie nun. Bänke werden verkleinert oder Armlehnen miteingebaut. „Da würde ich mich niemals reinquetschen. Wenn ich da mal schnell raus muss“ – Rüdiger kommt hier auf die Angriffe auf Wohnungslose zu sprechen – „bleibe ich in den Armlehnen ja stecken. Legt sich ein normaler Mensch auf die Bänke, ist alles ok. Liegt ein Obdachloser da drauf, heißt es: ‚Ey! Aufstehen!‘“ Nicht nur Schlaf- auch Sitzmöglichkeiten werden reduziert. So findet man metallene Absperrungen an Blumenkübeln, Stäbe auf Fensterbänken. Rüdigers Eindruck: Wir sind hier nicht erwünscht.
Dabei ist Rüdiger Düsseldorfer durch und durch. Hat hier schon immer gelebt, trägt einen Fortuna-Pulli. Er will nicht weg, werde aber vertrieben. Statt das Geld in Hilfsorganisationen und Sozialwohnungen zu investieren, werde defensive Architektur errichtet. Millionen werden investiert. Reiche rein, Obdachlose raus. Doch so funktioniere das nicht, meint Rüdiger. Ein Beispiel sei der Worringer Platz, direkt am Hauptbahnhof, Treffpunkt für die Drogenszene. Rund um eine Pizzeria wurde hier im Sommer 2021 ein Zaun errichtet. Für die 56-jährige Sandra Martini, frühere Wohnungslose, war der Platz wie ihr Badezimmer, sie ist immer gerne in der Pizzeria gewesen. „Dass da jetzt ein Zaun ist, ist ganz ganz traurig. Das ist so unfair.“ Betroffene treffen sich allerdings weiter an dem Platz, nur eben auf engerem Raum, zusammengepfercht. Ein Ballungszentrum mit mehr Konflikten, Schlägereien, Einsätzen.
Rüdiger versteht hinter der architektonischen Vertreibung den Sinn nicht – weder für die Stadt, noch für die Polizei oder das Ordnungsamt und erst recht nicht für Menschen von der Platte. Auch sein Treffpunkt am Heinrich-Heine-Platz wird nun renoviert, die Sitzmöglichkeiten sind von Zäunen umgrenzt. Dennoch treffe man sich hier weiterhin, nur eben auf der anderen Seite der U-Bahn-Station, nur eben ohne Verweilmöglichkeiten. Rüdiger findet die Baumaßnahmen verletzend und „scheiße“, entschuldigt sich erneut für seine Wortwahl. Für Rüdiger ist es nicht nur physische, sondern auch psychische Schikane. „Das kriegt man schon mit. Wir sind auch nur Menschen.“ Denn: „Jeder der obdachlos ist, wurde nicht obdachlos geboren“, betont er.