Ein Ampelwart für den Rettungsdienst
Seit Tagen harrt Siegmar Kemper am Dominikus-Krankenhaus aus, um im Notfall den Weg für Rettungswagen frei zu halten. Ursache ist eine ziemlich kleine Baustelle.
Düsseldorf. Siegmar Kemper hilft dabei, Menschenleben zu retten. Seit Montag. Immer von 8 bis 17 Uhr — per Knopfdruck. Der 43 Jahre alte Mann trägt dabei nicht etwa einen weißen Arztkittel. Über dicken Schichten Fleece und Baumwolle har er eine neongelbe Warnweste aus Polyester gezogen. Wie bei einem Klinikarzt auch ist es seine größte Herausforderung, sich während der Schicht nicht von Müdigkeit übermannen zu lassen. Nicht weil es ihm an Schlaf mangelt, sondern an Beschäftigung.
Seit fünf Tagen macht er sich zur Rheinallee Ecke Kribbenstraße von seiner Wohnung in Oberkassel auf, um am Dominikus-Krankenhaus über einen roten Alarmknopf zu wachen. „Wenn Rettungswagen unter Vollalarm starten, dann drücke ich den Knopf“, sagt Kemper. Mit diesem Mechanismus bewirkt er, dass alle Baustellenampeln an der Kreuzung für den übrigen Verkehr auf Rot springen. „Leider passiert das nicht so oft“, sagt der Mann, der auf dem Fahrersitz eines weißen Kastenwagens sitzt, kurz innehält und dann ergänzt: „Aber eigentlich ist das ja gut.“ Nicht so oft bedeutet seit Montag: „Mit heute Morgen genau zweimal.“
Eigentlich ist der Mitarbeiter eines Essener Unternehmens für die Rheinbahn im Einsatz. An den Gleisen sichert er mit seinen Kollegen die Bauarbeiten ab. „Nee, gefährlich ist das eigentlich nicht, wenn man immer gut aufpasst. Und gut bezahlt, vor allem“, sagt der Oberkasseler.
Dass er nun — voraussichtlich noch bis übermorgen — im Auftrag des Amtes für Verkehrsmanagement an der linksrheinischen Klinik wacht, ist einer Baustelle geschuldet, die gerade einmal geschätzte vier Quadratmeter groß ist. „Die ist von den Stadtwerken für die Fernwärme- und Gasleitungen zum Krankenhaus“, sagt ein Bauarbeiter, der gerade Sand in der Grube verteilt. Im Gegensatz zu Kemper muss er in der Kälte ausharren.
Nach drei Tagen Einsatz in der Kälte wurde ihm nämlich ein Auto zur Verfügung gestellt. Darin sitzt er nun mit einer braunen Wolldecke über den Beinen. Trinkt Kaffee, den mitleidige Nachbarn vom Haus gegenüber bringen, raucht und spielt mit seinem Handy. Was eben geht in seinem zweisitzigen Habitat mit Lenkrad, um die zäh verrinnende Zeit mit ein bisschen Tätigkeit zu füllen.
Den Alarmknopf, der optisch an die heimelig antiquierten Quizshows der 90er-Jahre erinnert, hat er zu sich ins Auto geholt. Aus einem Spalt im Beifahrerfenster kommend, baumelt der Steuerknubbel an einem grauen Kabel. Das ist am Wagen entlang gelegt, schlängelt sich dan³n über den Ast eines jungen Straßenbaums und endet schließlich am Sicherungskasten neben der provisorischen Ampel am Parkplatz des Krankenhauses. „Der Spaß“, sagt der Mann, der vollkommene Seelenruhe ausstrahlt, „na ja, der hält sich hier in Grenzen“. Dann kurbelt er das Fenster hoch und blickt wieder in den linken Seitenspiegel, denn darin fließt der Rhein in seinem Rücken nur für ihn.