Hannah Cohnen hält Lesungen im eigenen Wohnzimmer
Hannah Cohnen hält kostenlose Lesungen in ihrer guten Stube.
Düsseldorf. Hannah Cohnen führt ein offenes Haus. Oder besser gesagt, ein offenes Wohnzimmer, denn seit August vergangenen Jahres hält sie öffentliche Lesungen in ihrer Werstener guten Stube. „Ich brauche die Bühne, dazu stehe ich“, sagt die Rentnerin. Aber nicht aus egoistischen Motiven, sondern um die Liebe zu Kultur und Literatur mit anderen Menschen zu teilen. Und um ihnen ein Forum zu bieten, um sich auszutauschen. Gerne stellt sie ihre Wohnzimmerbühne auch anderen zur Verfügung. Zurzeit sucht sie nach literarischen Mitstreitern. „Die einen kochen halt miteinander, ich will Literatur gemeinsam erlebbar machen“, sagt sie.
Ihre vermutlich erste große Liebe ist früh geweckt. Mit 13 Jahren sieht sie Gustaf Gründgens als Mephisto auf der Bühne. Das hat das Feuer in ihr entfacht, die Leidenschaft zur Literatur ist bis heute geblieben. In den 80ern steht sie mehrfach in der Literaturkneipe Schnabelewopski auf der Bühne, spielt Theater, nimmt Rhetorik- und Sprechunterricht und arbeitet beim Bürgerfunk. Doch der Schichtdienst beendet ihr Engagement.
Erst 2009 steht sie wieder auf einer Bühne, liest Rilke in einem Café. Und zwar so mitreißend, dass sie direkt von einer anwesenden Galeristin für weitere Veranstaltungen gebucht wird. Seitdem tritt Cohnen immer wieder öffentlich auf, in Cafés, in Museen, Altenheimen oder in Krankenhäusern. Oder eben in ihrem Wohnzimmer.
Nach einem Besuch bei einer privaten Salonlesung wird ihr klar: „Das kann mein Wohnzimmer besser.“ Seitdem liest Cohnen zwischen schweren Holzmöbeln, rotem Plüschsofa und Korbstühlen vor fremden Menschen. Bis diese zu Bekannten, zu Gleichgesinnten werden und ihr Wohnzimmer zu einem Ort der Begegnung.
20 Plätze stehen zur Verfügung, selten bleibt ein Stuhl frei. Zu hören gibt es meistens Geschichten von Frauen, die etwas bewegt haben. Selbstbewusste, politische Frauen, über die langsam der Mantel der Geschichte fällt. George Sand etwa, Jane Austen oder Pearl S. Buck, und natürlich auch Anna Seghers oder Droste-Hülshoff.
Aber Literatur kennt keine Geschlechtergrenzen, Cohnen liest auch Edgar Allen Poes Horrorgeschichten, ein Abend über Wolfgang Borchert ist in der Vorbereitung. Ihr Kulturservice ist kostenlos, aber nicht ganz selbstlos, wie sie zugibt. Durch die Bühnenarbeit habe sie Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl gelernt, sagt sie. „Und die Arbeit mit der Stimme, Literatur spürbar, erlebbar zu machen, das macht einfach ganz viel Freude.“
Die positiven Rückmeldungen der Besucher bestätigen sie: „Besser als ein Profi, auf dieses Kompliment bin ich wirklich stolz“, sagt Hannah Cohnen. Wer die persönliche Atmosphäre bei ihren Wohnzimmerlesungen einmal selbst erleben möchte, die nächste Lesung findet am Sonntag um 15 Uhr statt.