Ein Chor mit illustrer Geschichte
Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf wird 200 Jahre alt — und wurde schon von großen Namen wie Robert und Clara Schumann dirigiert.
Pfingsten 1818: Musikalische Morgenluft weht durch Düsseldorf. Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ klingt dem damaligen städtischen Musikdirektor Friedrich August Burgmüller (1766-1824) noch erfreulich in den Ohren. Gemeinsam mit seinem Amtskollegen Johannes Schornstein aus Elberfeld (heute Wuppertal) hatte er mit Düsseldorfer und Elberfelder Chorsängern eine Aufführung des großen Werkes veranstaltet. Jetzt bekam man Lust auf mehr und gestaltete nun in Düsseldorf das Erste Niederrheinische Musikfest.
Auf dem Programm steht abermals Haydns „Schöpfung“ sowie dessen zweites großes Oratorium „Die Jahreszeiten“. Eng verbunden mit dem Pfingstkonzert ist die Gründung des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf bereits Anfang desselben Jahres. Denn vorrangiges Vereinsziel ist die erfolgreiche Durchführung des Niederrheinischen Musikfestes. Es ahnt wohl noch niemand, dass aus beiden Initiativen — der Festival-Ausrichtung und der Vereinsgründung — lange Traditionen erwachsen würden. Bis Pfingsten 1958 blieb die Pflege der Niederrheinischen Musikfeste (112 an der Zahl) in mehreren rheinischen Städten erhalten. Und der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf existiert noch heute und feiert jetzt sein 200-jähriges Bestehen.
Glanzvoller kann die Entwicklung eines Laienchores kaum sein. Große Namen ranken sich um die Chorgeschichte. Felix Mendelssohn reist 1836 nach Düsseldorf, um mit dem Chor im Rahmen des bis dato 18. Musikfestes sein Oratorium „Paulus“ in der Tonhalle uraufzuführen. Für Mendelssohn ist es fast ein Heimspiel, war er doch von 1833 bis 1835 Musikdirektor in Düsseldorf. Zweimal noch kehrt Mendelssohn nach Düsseldorf zurück, um an den Niederrheinischen Musikfesten teilzunehmen: 1839 und 1842. Auch Robert Schumann leitet den Chor während seiner Düsseldorfer Amtszeit (1850-1853). Nach dessen Tod tritt Ehefrau Clara in die Fußstapfen ihres Mannes. Und um ein Haar wäre ihr hochbegabter junger Freund Johannes Brahms hauptamtlicher Gestalter des Düsseldorfer Musiklebens geworden. Immerhin existierte ein bereits unterschriftsreifer Vertrag, doch tritt Brahms eine entsprechende Position in Wiesbaden an.
Julius Tausch (1827-1895) wird 1855 Leiter des Musikvereins und gibt wichtige Impulse. Unter seiner Leitung und auf sein Bestreben hin wird 1864 das Musikvereinsorchester in die städtische Trägerschaft übernommen — die Geburtsstunde der heutigen Düsseldorfer Symphoniker.
Unterdessen hat der Musikverein bei Ur- und Erstaufführungen oft die Nase weit vorn: 1901 erklingt beim Niederrheinischen Musikfest die deutsche Erstaufführung von Edward Elgars „Dream of Gerontius“ unter Anwesenheit des Komponisten. Ein Jahr nach Gustav Mahlers Tod stemmt man 1912 schon dessen größtbesetzte Sinfonie, die „Achte“, apostrophiert auch als „Sinfonie der Tausend“. Und am 19. November 1925 stehen zum ersten Mal die „Gurre-Lieder“ von Arnold Schönberg auf dem Programm.
Musikalisch nicht ganz schlecht, aber sehr problematisch verläuft die Vereins- und Stadtgeschichte im Dritten Reich. Der damalige Musikchef Hugo Balzer (1894-1987) bekleidet das Amt in den Jahren 1933 bis 1945. Er holte den damals bedeutendsten deutschen Komponist Richard Strauss nach Düsseldorf. Strauss leitete eine Aufführung seiner Oper „Ariadne auf Naxos“. Von der Aufführung seines „Festlichen Präludiums“ durch die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung des Komponisten gibt es sogar ein Tondokument. Für den Chor überwiegen derweil die Schattenseiten: Er steht unter Zwangsverwaltung, nichtarische Mitglieder müssen den Chor verlassen. Der Musikbetrieb kann immerhin fortgesetzt werden, wenn auch neben teils grotesken Randerscheinungen. Beispielsweise muss Händels „Judas Maccabäus“ bei der Aufführung abgewandelt und umgetauft werden in „Der Feldherr“, um alle jüdischen Bezüge zu tilgen.
Nach der deutschtümelnden Periode holt der Musikverein künstlerisch wieder auf. Uraufführungen stehen auf dem Plan. Los geht es damit in den 50er Jahren mit Uraufführungen von Chorwerken der Komponisten Kurt Hessenberg und Ernst Pepping. 1968 wird das Oratorium „Perché“ des Düsseldorfers Jürg Baur (1918-2010) aus der Taufe gehoben. 2006 beteiligt sich der Musikverein an der Uraufführung von Manfred Trojahns „Prolog zu Merlin“ durch die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von John Fiore.
Zwar ist der Musikverein kein Profichor, doch beteiligt er sich an professionellen Produktionen. Mit namhaften Dirigenten geht er auf Konzertreise, nimmt Platten auf wie Beethovens Neunte Symphonie unter Wolfgang Sawallisch oder „Das klagende Lied“ von Mahler unter Riccardo Chailly. Zu den wichtigsten Leitern des Chores im 20. Jahrhundert gehört von 1964 bis 1995 Hartmut Schmidt. In seine Ära fallen auch die großen Kooperationen mit weltbekannten Orchestern und Dirigenten. Würdige Nachfolger wie Raimund Wippermann, heute Rektor der Robert-Schumann-Hochschule, halten die Chorleistungen auf dem hohen Niveau. 2001 wird die Pianistin und Dirigentin Marieddy Rossetto Chordirektorin des Musikvereins und hält den Vokalisten bis heute die Treue. Die gebürtige Brasilianerin ist die erste Frau in dieser Position.
Rossetto ist auch für die Projektleitung der „Singpause“ verantwortlich, in der sie seit 2006 Kindern an Grundschulen das Singen beibringt. Der Chordirektorin zur Seite steht der Vereinsvorsitzende Manfred Hill, der sich in seiner Freizeit unermüdlich um die Belange des Chores kümmert und auch bei der Durchsetzung des Singpausen-Projektes die Feder führt. Für Düsseldorf ist der Musikverein mehr als ein Chor, er wächst zur Institution. Ohne sie wäre die Düsseldorfer Musikgeschichte glanzloser verlaufen — ohne Mendelssohn, Schumann und andere Größen des kulturellen Lebens.