Ein Richter als Anwalt der Opfer
Wolfgang Steffen leitete viele große Prozesse. Nach der Pensionierung ist er auf die andere Seite gewechselt. Jetzt legte er Revision im „Kantholz-Fall“ ein.
Düsseldorf. Als Vorsitzender Richter im Verfahren um den fünffachen Mord an einer türkischen Familie durch Rechtsextreme in Solingen wurde Wolfgang Steffen bundesweit bekannt. Der Prozess war für ihn ein Schlüsselerlebnis: „Der Umgang mit der Familie Genc, die fünf Opfer zu beklagen hatte, brachte mich zu dem Entschluss, dass ich etwas für Opfer tun will.“ Nachdem Steffen 2003 pensioniert wurde, beantragte er die Zulassung als Rechtsanwalt. Seitdem kümmert sich der heute 78-Jährige fast ausschließlich um Opfer und deren Angehörige.
So vertrat er die Tochter von Massimo L. im „Kantholz-Fall“ vor dem Landgericht. Der 44-Jährige war im Oktober vor vier Jahren an einer Straßenbahn-Haltestelle von einem 20-Jährigen erschlagen worden. Der war im Januar freigesprochen worden, weil es sich nach Auffassung des Gerichtes um Notwehr gehandelt hat. Gegen das Urteil hat Steffen jetzt Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Er hatte im Prozess eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gefordert: „Der erste Schlag mit dem Kantholz war Notwehr, der zweite aber nicht.“ Er habe lange mit seiner Mandantin gesprochen, ob sie es auf einen weiteren Prozess ankommen lassen will.
Polizei und Justiz kümmern sich in der Regel nur wenig um die Opfer. Das bleibt weitgehend Organisationen wie dem Weißen Ring überlassen. „Die sind nach der Tat oft völlig hilflos. Da bricht das große Elend aus“, weiß Steffen, der seit 1990 Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht war. Und dann kommt — möglicherweise Jahre später — eine Vorladung als Zeuge im Prozess: „Da stellen sich viele Fragen. Ist der Täter im Saal anwesend? Was mache ich, wenn ich Angst vor der Begegnung habe? Wer keine anwaltliche Beratung hat, ist mit diesen Problemen ganz allein. Die Opfer wissen nicht, wie sie ihre Rechte durchsetzen können. Das ist eine enorme psychische Belastung.“ Zumal eine Zeugenbetreuung, wie es sie bei der Düsseldorfer Justiz gibt, noch längst kein Standard ist.
Bedenklich findet der 78-Jährige vor allem den Umgang mit Kindern, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind: „Teilweise wird empfohlen, dass erst mit einer Therapie begonnen wird, wenn der Prozess vorbei ist. Sonst seien die Betroffenen möglicherweise als Zeugen nicht mehr glaubwürdig.“ Das dürfe nicht sein, im Mittelpunkt müsse immer das Wohl der Kinder stehen.
In vielen Fällen geht es bei der Nebenklage auch um Geld. Doch selbst wenn Opfern in Prozessen hohe Summen zugesprochen werden, haben sie oft wenig Aussicht, das Schmerzensgeld zu bekommen: „Vor allem, wenn Täter zu langen Haftstrafen verurteilt werden.“ Doch seinen Mandanten sei das oft auch gar nicht so wichtig: „Wenn ihnen ein Schmerzensgeld zugesprochen wird, dann ist das für sie eine zusätzliche Anerkennung, dass ein Unrecht geschehen ist.“ Auch wenn es für Wolfgang Steffen eine Herzensangelegenheit ist, umsonst arbeiten darf er für seine Mandanten nicht: „Ich muss schon den Pflichtsatz für Rechtsanwälte nehmen. Sonst würde ich Ärger mit meinen Kollegen bekommen.“
Der 78-Jährige engagiert sich auch ehrenamtlich, unter anderem beim Weißen Ring, und ist Mitglied einer Experten-Kommission des NRW-Justizministeriums, die sich dem besseren Schutz von Opfern widmet. Fit hält sich Steffen mit Radtouren rund um den Unterbacher See und Wanderungen: „Nach meiner Pensionierung bin ich den Jakobsweg von Pamplona nach Santiago gegangen. Das waren 750 Kilometer.“ Sein anderes Hobby ist kalorienreich: Seit vielen Jahren ist Steffen Mitglied im Club kochender Männer.