Forscher setzten Betrunkene aufs Rad
Rechtsmediziner haben getestet, ob 1,6 Promille das Radfahren zu einer wackeligen Angelegenheit machen.
Düsseldorf. Einem Fahrradfahrer mit 1,6 Promille beim Bewältigen eines Hindernis-Parcours zuzuschauen, mag auf den ersten Blick etwas Amüsantes haben. Nicht für Benno Hartung. „Mir war dabei schon mulmig“, sagt er. Hartung ist Arzt am Institut für Rechtsmedizin. Gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Daldrup, Bereichsleiter Forensische Toxikologie und Leiter des Alkohollabors am Institut, hat er im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft getestet, wie viel Alkohol im Blut das Fahrradfahren zu einer wackeligen Angelegenheit macht, also, „ob die absolute Promillegrenze von 1,6 Promille zu halten ist“. Jetzt stellten die Mediziner die Ergebnisse der Studie auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar vor.
Um die Frage zu klären, ob alle, wirklich alle Fahrradfahrer fahruntüchtig sind, wenn sie 1,6 Promille im Blut haben, hatten die Rechtsmediziner auf dem Gelände des Technischen Hilfswerks in Neuss einen kniffligen Hindernis-Parcour aufgebaut. Diesen mussten rund 80 Testfahrer mehr oder weniger alkoholisiert bewältigen. „Die Kante geben“ durften sich die Probanden — darunter Studenten, Rechtsmediziner oder Staatsanwälte — mit Getränken ihrer Wahl. „Das sollte ja möglichst realistisch sein“, sagt Hartung, der sich das Experiment von der Ethik-Kommission absegnen lassen musste.
Hatten die Probanden den gewünschten Promille-Wert erreicht, ging es nach ärztlicher Untersuchung inklusive Blutentnahme ab aufs Fahrrad. Zur Sicherheit waren die Räder gepolstert, ebenso wie die Testfahrer: Sie mussten zur Sicherheit Motorradkleidung und einen Helm tragen.
An den Bildern der Helmkamera lässt sich jetzt auch für Nicht-Mediziner ziemlich eindrucksvoll nachvollziehen, was 1,6 Promille mit einem sonst so sicheren Radfahrer machen können. Da fährt der Proband mit der Nummer 49 auf der geraden Strecke Schlangenlinien, rammt beim Slalom jeden einzelnen Poller oder dreht im Kreisverkehr einfach mal fünf, statt wie ausgemacht drei, unsichere Runden. Um zu testen, wie die alkoholisierten Radfahrer auf ein komplexes Ereignis reagieren, hatten die Forscher zudem ein Überraschungselement in der Teststrecke eingebaut: Zum Beispiel, in dem die Helfer sich plötzlich fußballspielend in den Weg stellten oder die Fahrer mit einer Taschenlampe blendeten.
Das Ergebnis des Tests hat Hartung dennoch überrascht. Zwar hatten die Testfahrer bereits ab 0,2 Promille Ausfälle, die ab etwa 1 Promille noch einmal deutlich zunahmen. Doch nachweisen, dass jeder Radfahrer, der einen Wert von 1,6 Promille hat, auch fahruntüchtig ist, konnte er nicht. „Es gab mehrere Fahrer, die problemlos durch den Parcour gerauscht sind.“ Und das bei Werten um die 2 Promille. „Meist waren das sehr sportliche Leute mit einer extrem hohen Körperbeherrschung“, sagt der 37-Jährige, der jetzt den Juristen das Feld überlässt.
Denn bisher wurde angenommen, dass Radler, die 1,6 Promille im Blut haben, generell fahruntüchtig sind. Wurden sie erwischt, wurde sofort und ohne abwägen zu müssen, ein Strafverfahren eingeleitet. Das könnte sich nun durch die neue Studie ändern. Das zu beurteilen ist allerdings nicht mehr Hartungs Aufgabe. Der Mediziner ist einfach froh, dass alle Probanden die Tests soweit gut überstanden haben — der ein oder andere dürfte allerdings einen ausgewachsenen Kater davongetragen haben.