Jedes fünfte Düsseldorfer Kind ist arm
Nie zuvor wurden so viele Kinder in Hartz-IV-Verhältnissen groß. Politik reagiert mit mehr Fördergeldern.
Düsseldorf. Noch nie wuchsen in Düsseldorf so viele Kinder in Hartz-IV-Verhältnissen auf wie heute. Laut aktueller Zahlen des Jobcenters waren es im September 16 766 der unter 15-Jährigen, der bis dahin ermittelte Jahresdurchschnitt liegt nur knapp darunter (siehe Grafik). Das heißt nach hiesigen Maßstäben: Jedes fünfte in der Stadt wohnende Kind ist arm.
Die Quote von 21,9 Prozent liegt deutlich über dem Bundesschnitt von 15,3 Prozent. Das ist zwar für Großstädte nicht untypisch, dennoch liegt Düsseldorf fast gleichauf mit Städten wie Köln und Hamburg. Die weisen jedoch erheblich weniger Gewerbesteuereinnahmen pro Einwohner auf. Zudem sind sie nicht wirtschaftlich schuldenfrei. In Berlin liegt die Quote gar bei 33,4, in München bei 12,1 Prozent.
Seit der Arbeitsmarktreform 2005 hat sich das Problem der Kinderarmut in Düsseldorf deutlich verschärft. Damals waren 14 000 Kinder betroffen, 2012 waren es schon 2000 Kinder mehr, für die heute ein Regelsatz von weniger als 300 Euro pro Monat vorgesehen ist. Erschwerend hinzu kommt die hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen, die auch Kinderarmut verfestigt. Mehr als die Hälfte der Hartz-IV-Empfänger zählt in der Landeshauptstadt zu ihnen.
Die Zahlen decken sich mit Erfahrungen, die Hans Küster macht. Der Gründer der Bürgerhilfe Gerresheim engagiert sich seit 25 Jahren für finanzschwache Familien. Bekannt sind etwa seine Benefizaktionen, bei denen sich Kinder in Kaufhäusern einkleiden können und laut Küster oft zum ersten Mal etwas Neues zum Anziehen bekommen. „Bei uns melden sich immer mehr Familien. Die können wir längst nicht alle berücksichtigen.“
Küster beklagt, dass die „Politik jahrelang gepennt hat“. Er wünscht sich gerade von Bezirkspolitikern mehr Engagement. Denn die Folgen für Kinder, die mit Hartz IV aufwachsen, seien gravierend. „Ich stelle oft fest, wie wenig Selbstvertrauen diese Kinder haben. In solchen Verhältnissen wird Ängstlichkeit gezüchtet.“
Eine Politikerin, die die Bekämpfung der Kinderarmut als persönliches, politisches Ziel bezeichnet, ist Miriam Koch (Grüne). Zumindest in ihrer Zeit als OB-Kandidatin hatte sie das formuliert. „Schulabschlüsse dürfen nicht von der Herkunft abhängen“, sagt sie. Als „beschämend“ bezeichnet sie es, dass bislang kein Oberbürgermeister in seiner Haushaltsrede ein Wort über Kinderarmut verlor.
Hans Küster, Ehrenamtler
Der neue Oberbürgermeister Thomas Geisel hatte in seiner ersten Etatrede nun zwar nicht explizit Kinderarmut angesprochen, aber immerhin die Situation der Langzeitarbeitslosen und die „vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote“. Mit neuem Oberbürgermeister und der Kooperation aus SPD, Grünen und FDP ist ein wenig mehr Bewegung in die Sozialpolitik gekommen. Die „Ampel“ will etwa Quartiersmanager in den Bezirken einsetzen, die sich gezielt um Probleme vor Ort kümmern. Koch: „Sie könnten an die Zentren plus angedockt werden. Dort ist die Hemmschwelle für Betroffene oft niedriger als bei einer Behörde.“ Meist müsse vor allem aufgezeigt werden, was alles an Hilfeleistungen möglich ist.
Michael Mense, Jobcenter
Während die Umsetzung noch nicht abzusehen ist, hat die „Ampel“ allerdings im Dezember Geld für „Kommunale Beschäftigungsförderung“ bereitgestellt, jährlich 2,2 Millionen Euro. Koch hofft, dass so ein Ausgleich für die so genannte Instrumentenreform des Bundes geschaffen wird, durch die dem Jobcenter rund 20 Millionen Euro weniger für Arbeitsförderung und -vermittlung zur Verfügung stehen. Im Ergebnis musste die Caritas etwa ihre Fahrradwerkstatt aufgeben, bei der vor allem Langzeitarbeitslose beschäftigt waren.
Wie genau das Geld verteilt werden soll, berät zurzeit die Verwaltung, wie Sozialdezernent Burkhard Hintzsche gegenüber der WZ bestätigt. Und er wehrt sich gegen den Eindruck, die Stadt habe das Problem nicht erkannt. So erinnert er etwa an die drei Millionen Euro, die jährlich in die Zukunftswerkstatt fließen und an die Arbeit der Jugendberufshilfe. Zudem entlaste die Kommune finanzschwache Familien an vielen Stellen: etwa mit beitragsfreien Kita-Plätzen und dem Düsselpass. Zudem kündigt er an, dass bis August alle Düsseldorfer Grundschulen mit Sozialarbeitern ausgestattet sein werden.
Aber warum hat dann eine wirtschaftlich starke Stadt wie Düsseldorf trotz aller Bemühungen solch große Probleme mit Kinderarmut und Landzeitarbeitslosigkeit? Hintzsche: „Düsseldorf ist ein Arbeitsmarkt, in den die gesamte Region drängt.“
Auch Michael Mense vom Jobcenter erinnert an die enorm hohen Einpendlerzahlen in Düsseldorf. „Zudem ist die Stadt aufgrund der Mieten ein teueres Pflaster. So rutschen die Menschen viel schneller in die Bedürftigkeit.“