Krefeld Arme Kinder bleiben meistens arm
Neue Studie beweist: Teufelskreis wird kaum durchbrochen. Krefelder Experten vernetzen sich.
Die Stimmung in den Betrieben ist so gut wie selten, die Wirtschaft boomt, und die Politik setzt auf schwarze Nullen — trotzdem ist Kinderarmut in unserem reichen Land allgegenwärtig. Nun beweist die neue repräsentative Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung eine weitere alarmierende Komponente: Der Weg aus der Armut ist für Kinder kaum zu schaffen. Ein Fünftel aller Kinder ist laut IAB-Studie dauerhaft oder wiederkehrend betroffen. Das ist in Krefeld nicht anders, im Gegenteil. Und es ruft die Experten auf den Plan.
In Krefeld ist jedes vierte Kind unter 15 Jahren von Kinderarmut betroffen. Die SGB-II-Quote in diesem Segment beträgt 25 Prozent. Die Gesamtzahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB-II-Bezug in Krefeld liegt bei 16 146. Und in mehr als einem Drittel dieser Bedarfsgemeinschaften, genau in 5104, leben Kinder unter 18 Jahren. Mehr als die Hälfte davon werden von nur einem Elternteil erzogen. Überhaupt: Krefeld liegt bei den Alleinerziehenden, eine der größten und wachsenden Risikogruppen für Armut, fast schon traditionell deutlich über dem Landes- und Bundesschnitt. Viele Krefelder Kinder, in deren Familien das Geld hinten und vorne nicht reicht, leben in der Innenstadt.
Dietmar Siegert, Kinderschutzbund
Die IAB-Studie stuft Familien als armutsgefährdet ein, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben oder staatliche Grundsicherung beziehen. Das entspricht der EU-Definition. Über den Daumen: Als arm gelten Familien mit zwei Kindern unter 14 Jahren, die von 2000 Euro netto leben müssen. Oder Einzelhaushalte mit knapp 1000 Euro. Die Experten reden dabei von einem relativen Armutskonzept. In den meisten Fällen, in vielen aber auch nicht, sei die Grundversorgung mit Essen und Kleidung gegeben. Die Einschränkungen für arme Kinder liegen in jedem Fall in der sozialen und kulturellen Teilhabe. Das Institut hat bei den armutsgefährdeten Kindern 23 Güter abgefragt, die für drei Viertel aller Kinder selbstverständlich sind. Viele haben daheim keine Waschmaschine, können nicht ins Kino gehen, Freunde nach Hause einladen, geschweige einen festen monatlichen Betrag sparen.
Dietmar Siegert berührt als Geschäftsführer des Krefelder Kinderschutzbundes insbesondere die Feststellung der mangelnden Durchlässigkeit. Überrascht ist er jedoch nicht. „Das deckt sich leider komplett mit dem, was wir hier in Krefeld in der Praxis merken.“ Siegert zitiert den ehemaligen Jugendamtsleiter Ackermann: „Demnach leben 50 Prozent aller Krefelder Kinder ab Geburt zunächst von Transferleistungen, je länger das dauert, desto schwieriger wird es.“ Der Kinderschutzbund betreue bedürftige Familien mittlerweile bereits in der zweiten oder dritten Generation.
Das Gesamtthema Armut bekomme man lokal nicht gelöst, aber auch Krefeld könne Weichen stellen. „Das Geld von Bund und Land muss da sein, das Problem also nicht nur monetär erkannt, sondern auch angegangen werden. Und dann sind wir am Zug mit unseren Arbeitsgruppen, die seit Anfang des Jahres tagen.“ Siegert meint die zwei von OB Meyer ins Leben gerufenen Experten-Gremien, einmal Praktiker, einmal Entscheider. Er selbst gehört zu den Praktikern und sagt: „Es gibt so viele bedürftige Kinder mit Talent und Intelligenz, die benötigen Förderung, um den Kreis selbst zu durchbrechen.“ Dazu gehöre zielorientierte Förderung, keine Gleichmacherei. „Ganz einfach: Schulen mit höherem Förderbedarf, etwa die Einrichtungen an der Felbel- und Mariannenstraße, benötigen mehr Fördermittel für Soziales als die Grundschulen in Traar oder Hüls.“
Es gehe zunächst um die Vernetzung von Schule, Gesundheitssystem und Jugendhilfe, alle relevanten Einrichtungen wie Stadtsportbund oder Kindertafel säßen mit am Tisch, man sei auf einem guten Weg.
Martin Debener, Paritätischer
Das unterstreicht auch Siegerts Kollege Martin Debener, Experte vom Paritätischen Landesverband NRW mit Sitz in Krefeld. Debener hat zudem Hoffnung, dass die neue Landesregierung, die das rot-grüne Programm „Kein Kind zurücklassen“ jetzt in „Kommunale Präventionsketten“ umgetauft hat, die Kinderarmut in den Kommunen weiterhin bekämpfen wird. Debener meint, es gehe nicht um „fünf Euro mehr oder weniger Hartz IV, sondern um eine Politik, die Rahmenbedingungen schafft“. Zum Beispiel im sozialen Wohnungsbau. „Hilfeempfänger müssen für den Satz auch Wohnungen bekommen. Auf dem Land muss es genügend Kinderärzte geben.“ Kinderarmut habe viele Facetten. „Die Bundesnetzagentur berichtet von 330 000 Stromabschaltungen. Wie kann sich ein Kind entwickeln, das im Dunkeln Hausaufgaben machen soll?“
Der DGB-Vorsitzende Ralf Köpke sieht sehr wohl ein größeres Problem mit den Hartz IV-Sätzen: „Bei der Bemessung der Regelsätze ist schon im letzten Jahr wieder die Chance vertan worden, Kinderarmut zurückzudrängen. Das macht mich wütend.“ Köpke zählt auf: „237 Euro für den Lebensunterhalt eines fünfjährigen Kindes, Adventsschmuck und ein Weihnachtsbaum stehen ihnen nicht zu. Malen und Basteln ist Luxus.“ Das sei keine polemische Zuspitzung, sondern der politische Wille der Verantwortlichen, Armut schränke den Spielraum von Kindern ein — buchstäblich wie im übertragenen Sinne.
Ralf Köpke, DGB
Neben den Alleinerziehenden sieht der Gewerkschafter ein weiteres großes Armutsrisiko in geringen Löhnen. „15 000 Krefelder arbeiten zu schlechten Löhnen, der Mindestlohn muss weiter nach oben gesetzt werden.“ Kinder seien arm, weil ihre Familien arm sind. „Gute Arbeit bringt mehr als ausrangiertes Spielzeug für arme Kinder.“