Lesung Friedrich von Thuns Wiener G’schichten

Düsseldorf · Ein typisch wienerischer Abend mit Rezitation und charmanten Akkordeonklängen gespielt von Maria Reiter.

Der Schauspieler Friedrich von Thun

Foto: Susien Knoll/Susie Knoll

Wien ist eine sonderbare Stadt, wobei die Hauptstadt Österreichs viel mehr ist als die wundervollen, von Geschichte und Geschichten gesättigten Gassen, mehr als nur die Summe der dort lebenden Menschen – die immer schon eine bunte Mischung an Völkern war: Wien ist ein Gefühl. Nun, dieses Gefühl lässt sich nur schwerlich beschreiben, man muss es erlebt haben oder wenn dies nicht möglich ist, sich dieses Gefühl zumindest in gesprochenen Worten erzählen lassen. G´schichten über Wien zu lesen, langt nicht. Man muss sie hören. Der 1942 im heute tschechischen Kvasice geborene österreichische Schauspieler Friedrich von Thun tut in seinem mit der Akkordeonistin Maria Reiter gestalteten Programm genau dieses, mit dem er nun in der Reihe „Zweiklang!“ auch Düsseldorf besuchte.

Er erzählt Wiener G´schichten, echte Wiener Geschichten, die eben immer etwas Düsteres, Morbides und Unbequemes an sich haben. Die wienerische Oberfläche, die gewiss stets charmant wirken mag, verbirgt nämlich fast immer ein faulig schmeckendes Geheimnis. So setzte Thun nach einer knappen launigen Einführung in die Atmosphäre Wiener Kaffeehauskultur zunächst mit Franz Werfels Erzählung „Eine blassblaue Frauenschrift“ an. Diese Geschichte dreht sich um den Emporkömmling Leonidas und spielt in einem von Antisemitismus durchsetzten Österreich des Jahres 1936. Ein hoher Staatsbeamter, fesch, reich geheiratet, ein Frauenheld. Doch hinter der so schmucken Fassade verbirgt sich ein düsteres Geheimnis, also eine typische Wiener Geschichte.

Leonidas hatte vor Jahren eine innige Affäre mit einer jungen jüdischen Frau Namens Vera. Just an seinem 50. Geburtstag erhält er einen „in blassblauer Schrift“ verfassten Brief von ihr, der ihn in eine Art Schockstarre versetzt. Sie bittet ihn, den Sektionschef im Unterrichtsministerium, um Hilfe für einen jungen Mann, der in Deutschland nicht mehr das Gymnasium besuchen könne und seinen Abschluss in Wien machen wolle. Ist es sein Sohn? Hatte Vera einen Sohn mit ihm? Leonidas schöne Fassade bröckelt. Von Thun erzählt einen Großteil der Geschichte mit farbenreich treffendem Tonfall, lässt die Zuhörer in das Geschehen eintauchen. Mit tupfer-artigen musikalischen Einschüben begleitet Maria Reiter das Erzählte mit wienerischen Melodien, würzt die Rezitation mit einer Priese Klang. Dabei hält sie sich angenehm im Hintergrund, flüstert bisweilen mit ihrem Instrument.

Der zweite Teil des Abends ist bei weitem leichtfüßiger, gerne mit entsprechendem Akzent. Thun erzählt zunächst nochmal kurz über die spezielle Beziehung der Wiener zu ihren Kaffeehäusern und lenkt den Blick auf den österreichischen Schriftsteller Alfred Polgar. Dessen Kurzprosa „Der verlogene Heurige“ – der Heurige ist übrigens wieder so ein Phänomen, das nur schwerlich beschrieben und vielmehr erlebt werden muss – spielt, wie der Titel schon sagt, in einem Heurigen, einer jener Weinwirtschaften, die sich in Wiener Vororten finden lassen. Darin beschreibt Polgar den Prototypus des über die Grenzen schlagenden Heurigenbesuchers: ein dicklicher weinseliger Mann von unbeschreiblicher Gutmütigkeit und Plumpheit zugleich. Dazu gesellt Thun mit viel Sprachwitz erzählend etwa auch Alexander Roda Rodas Geschichten „Das Zimmer in der Bognergasse“ und „Die Gans von Podwolotschyska“. Zwei herrlich humorige Erzählungen, die auf charmant spitze Weise Verrücktheiten in den Fokus rücken, die so irrwitzig erscheinen, dass sie schon fast wahr sein könnten.

Auch mit „Der Zigeuner“ beispielsweise von Roda Roda oder Georg Kreislers „Telefonbuchpolka“, trotz etwas lädierter Stimme von ihm gesungen und von Reiter mit musikalischem Witz begleitet, sorgte er für herzlichste Lacher im ausverkauften Robert-Schumann-Saal.